sozialstrukturanalysen.de

Von sozialen Schichten wird im Kontext von Sozialstrukturanalysen gesprochen, um soziale Gruppen zu benennen, die sie sich in einer ähnlichen sozioökonomischen bzw. sozialen Lage befinden. Mitunter werden diese Gruppen auch über soziokulturelle Ähnlichkeiten der Mentalität oder der Lebensführung charakterisiert. Von Schichten wird nicht selten in Abgrenzung von Klassenkonzepten gesprochen, indem man jenseits der ökonomischen Lage noch weitere sozial differenzierende Faktoren (z.B. Bildung, soziale Anerkennung) berücksichtigt, indem man auf die eher graduellen Übergänge und Mobilitäten zwischen sozialen Gruppen verweist und indem man den Begriff in einer eher beschreibenden Weise nutzt und den Anspruch der Erklärung bzw. der Kritik sozialer Ungleichheiten zurückstellt.

Die Analyse sozialer Schichtungen ist in ganz unterschiedlicher Weise mit theoretischen Argumentation und empirischen Analysen verknüpft.

Theoretische Fundierung von Schichtungskonzepten

Empirische Schichtungsforschung

Erste Ansätze der empirischen Bestimmung von Sozialschichtungen finden sich (in Deutschland) bereits Ende des 19. Jahrhundert; dabei wurden Aggregatdaten aus den Berufserhebungen des Kaiserlichen Statistischen Amtes genutzt. Mit der nach dem Zweiten Weltkrieg entstehenden Umfrageforschung können empirische Schichtungsanalysen auf Mikrodaten aus Querschnittserhebungen zurückgreifen. Neue Möglichkeiten der Modellierung ermöglichen die ab den 1980er Jahren verfügbaren Mikrodaten, die über Panel- bzw. Haushaltserhebungen (z.B. SOEP) oder über retrospektive Befragungen (Deutsche Lebensverlaufsstudie) gewonnen wurden. Für zeitliche bzw. internationale Vergleiche kommt der Standardisierung von Angaben (z.B. zu Berufen, Branchen oder Qualifikationen) und schließlich der Durchführung wiederholender (z.B. Allbus) bzw. länderübergreifender (z.B. European Social Survey) Erhebungen eine große Bedeutung zu. Auch der Zugang zu Aggregat- und Mikrodaten für die Sozialstrukturanalyse spielt eine Rolle; dabei geht es zum einen um die Beziehungen zwischen wissenschaftlicher Sozialforschung und amtlicher Statistik; zum anderen ist die (organisationale wie technische) Verfügbarkeit von Datensätzen für die Sekundäranalyse von großer Bedeutung.

Daten der amtlichen Statistik

Insbesondere im 19. und frühen 20. Jahrhundert entstehen in vielen Nationalstaaten Institutionen der amtlichen Statistik, die summarische Beschreibungen der nunmehr konstituierten Bevölkerungen und Territorien liefern.

Mikrodaten aus Querschnittserhebungen

Die in Querschnittserhebungen der Umfrageforschung erhobenen Mikrodaten haben die Potentiale der Sozialstrukturanalyse fundamental verändert, indem die wissenschaftliche Forschung unabhängig von den Kategorien der amtlichen Statistik eigenen Erhebungsdesigns und Fragestellungen verfolgen konnte.

Haushalts- und Paneldaten

Das große Potential von Haushalts- und Paneldaten wurde in der Sozialstrukturanalyse bislang nur bedingt ausgeschöpft. So werden Haushaltsinformationen genutzt, um auf Basis der Angaben der einzelnen befragten Haushaltsmitglieder ein möglichst exaktes Gesamteinkommen des Haushalts und schließlich unter Berücksichtigung der Haushaltsstruktur ein so genanntes Nettoäquivalenzeinkommen zu ermitteln. Diese Nettoäquivalenzeinkommen werden für einzelne Personen berechnet, in ihre Höhe gehen aber alle Einkommensquellen des Haushalts und die über die Zahl von Erwachsenen und Kindern modellierten Bedarfsstrukturen ein.

Kommentar

Trotz gewisser Konventionen im Gebrauch von Klassen- und Schichtenbegriffen ist vor einem nominalistischen Verständnis der Begriffe oder einer historischen Ordnung (von Klassengesellschaften zu geschichteten Gesellschaften) zu warnen. Die zugegebenermaßen unübersichtliche Situation ist historischen Veränderungen bzw. Differenzierungen im wissenschaftlichen und politischen Feld, aber auch im Alltagsgebrauch (in verschiedenen Ländern) geschuldet. Daneben spielen schließlich auch eher theoretische Überlegungen eine Rolle, wie an der parallelen Begriffsverwendung bei Dahrendorf oder Parsons deutlich wird.

Angesichts der Vielzahl von Ungleichheitsmomenten in komplex strukturierten Gesellschaften ist ein weiter gefasster Schichtenbegriff, wie von Geiger vorgeschlagen, sinnvoll. Die mit dem Klassenbegriff mitunter implizierten Aussagen (z.B. über Sozialgruppen mit widerstreitenden Interessenlagen, über gesellschaftliche Machtverhältnisse bzw. über geringe Grade der sozialen Durchlässigkeit) lassen sich auch mit dem Schichtenbegriff verknüpfen, wenn dieser nicht nur als eine empirische Beschreibung von Ressourcenunterschieden begriffen wird.

Literatur

Dahrendorf, Ralf 1968: Gesellschaft und Demokratie in Deutschland, München: dtv

Datenreport 2021, hrsg. vom Statistischen Bundesamt, Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung und Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung, Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung

Davis, Kingsley/ Moore, Wilbert E. 1967 [1945]: Einige Prinzipien der sozialen Schichtung, in: Moderne Amerikanische Soziologie. Neuere Beiträge zur soziologischen Theorie, hrsg. von Heinz Hartmann, S. 347-357, Stuttgart: Enke

Ganzeboom, Harry 2010: A new International Socio-Economic Index (ISEI) of occupational status for the International Standard Classification of Occupation 2008 (ISCO-08), Paper presented at Annual Conference of International Social Survey Programme, Lisbon

Geiger, Theodor 1932: Die soziale Schichtung des deutschen Volkes. Soziographischer Versuch auf statistischer Grundlage, Stuttgart: Enke

Geißler, Rainer 2014: Die Sozialstruktur Deutschlands, Wiesbaden: VS Verlag

Parsons, Talcott 1964a [1940]: Ansatz zu einer analytischen Theorie der sozialen Schichtung, in: Parsons, Talcott. Beiträge zur soziologischen Theorie (hrsg. von Dietrich Rüschemeyer), Neuwied: Luchterhand, S. 180-205

Parsons, Talcott 1964b [1949]: Soziale Klassen und Klassenkampf im Lichte der neueren soziologischen Theorie, in: Parsons, Talcott. Beiträge zur soziologischen Theorie (hrsg. von Dietrich Rüschemeyer), Neuwied: Luchterhand, S. 206-222

Schmoller, Gustav 1897: Was verstehen wir unter dem Mittelstand? Hat er im 19. Jahrhundert zu oder abgenommen?, in: Die Verhandlungen des Achten Evangelisch-Sozialen Kongresses, Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht, S. 132–161