Von sozialen Schichten wird im Kontext von Sozialstrukturanalysen gesprochen, um soziale Gruppen zu benennen, die sie sich in einer ähnlichen sozioökonomischen bzw. sozialen Lage befinden. Mitunter werden diese Gruppen auch über soziokulturelle Ähnlichkeiten der Mentalität oder der Lebensführung charakterisiert. Von Schichten wird nicht selten in Abgrenzung von Klassenkonzepten gesprochen, indem man jenseits der ökonomischen Lage noch weitere sozial differenzierende Faktoren (z.B. Bildung, soziale Anerkennung) berücksichtigt, indem man auf die eher graduellen Übergänge und Mobilitäten zwischen sozialen Gruppen verweist und indem man den Begriff in einer eher beschreibenden Weise nutzt und den Anspruch der Erklärung bzw. der Kritik sozialer Ungleichheiten zurückstellt.
Die Analyse sozialer Schichtungen ist in ganz unterschiedlicher Weise mit theoretischen Argumentation und empirischen Analysen verknüpft.
Theoretische Fundierung von Schichtungskonzepten
- Der bislang eher unspezifisch gebrauchte Begriff der sozialen Schicht wurde zu Beginn der 1930er Jahre von Theodor Geiger für den wissenschaftlichen Gebrauch präzisiert. Er plädierte dafür, ein eher sozioökonomisches Verständnis von sozialen Lagen mit einem eher soziologischen Verständnis von Mentalitäten, er sprach auch von Lebensduktus, von Haltungen oder von Status, zusammenzubringen. Er wendete sich jedoch gegen das Verständnis, dass diese Mentalitäten durch die sozioökonomischen Positionen determiniert seien. In seinen empirischen Analysen verknüpfte Geiger eine auf Basis von Berufszählungen erstellte statistische Analyse sozialer Lagen mit einer eher soziographischen (d.h. eher qualitativen) Analyse der damit verknüpften Lebenslagen und Orientierungen.
- Ralf Dahrendorf geht in den 1950er und 60er Jahren davon aus, dass es in den Industriegesellschaften nach dem 2. Weltkrieg zu einer institutionellen Isolierung von Klassenkonflikten gekommen sei. So haben sich die herrschenden wie die beherrschten Klassen ausdifferenziert; parallel habe mit der Durchsetzung des Leistungsprinzips die soziale Mobilität zugenommen. Schließlich könnten die beherrschten Gruppen über ihre Organisationen (Parteien und Gewerkschaften) bzw. über die Betriebsverfassung auch als Vetogruppen fungieren. All dies schlage sich in Veränderungen der Sozialstruktur nieder. Dahrendorf benutzt den Begriff der sozialen Klasse in einem analytischen Sinne, um auf zentrale gesellschaftliche Konfliktlinien aufmerksam zu machen und zu einer Erklärung sozialer Veränderungen beizutragen. Soziale Schichten seien demgegenüber als Gemeinsamkeiten der Lage empirisch bestimmbar; sie lassen sich einsetzen, um vertikal gelagerte gesellschaftliche Gruppierungen im Querschnitt zu beschreiben. Dementsprechend begreift er das von ihm vorgelegte ›Hausmodell‹ als ein Modell der sozialen Schichtung, bei dem verschiedene soziale Gruppen (z.B. Eliten, Dienstklasse, Mittelstand oder Arbeiterschicht) vertikal entlang ihrer gesellschaftlichen Macht verortet werden.
- In der amerikanischen Sozialstrukturforschung dominieren seit den 1940er Jahren Varianten einer funktionalistischen Schichtungstheorie. Kingsley Davis und Wilbert E. Moore (1967 [1945]) gehen davon aus, dass sich in allen Gesellschaften die funktionale Notwendigkeit der Schichtung stelle, indem einerseits verschiedene Positionen abgegrenzt und mit Belohnungen, Rechten und Anerkennungen (Prestige) verknüpft werden und indem andererseits bestimmte Personen diesen Positionen zugewiesen werden. Als wesentliche Determinanten der Positionierung werden zwei Faktoren benannt: die Bedeutung einer Position für eine Gesellschaft und die Zahl (bzw. die Knappheit) der verfügbaren Personen, die die jeweils erforderlichen ›Qualifikationen‹ mitbringen. Entlang der Bedeutung verschiedener Schichtungsprinzipien werden Gesellschaften nach Graden der Spezialisierung, der Säkularität, der Gleichheit, der Mobilität oder Klassifizierung unterschieden. Talcott Parsons (1964a,b) knüpft an die funktionalistische Perspektive an und verallgemeinert diese im Rahmen seiner Theorie sozialer Systeme.
Empirische Schichtungsforschung
Erste Ansätze der empirischen Bestimmung von Sozialschichtungen finden sich (in Deutschland) bereits Ende des 19. Jahrhundert; dabei wurden Aggregatdaten aus den Berufserhebungen des Kaiserlichen Statistischen Amtes genutzt. Mit der nach dem Zweiten Weltkrieg entstehenden Umfrageforschung können empirische Schichtungsanalysen auf Mikrodaten aus Querschnittserhebungen zurückgreifen. Neue Möglichkeiten der Modellierung ermöglichen die ab den 1980er Jahren verfügbaren Mikrodaten, die über Panel- bzw. Haushaltserhebungen (z.B. SOEP) oder über retrospektive Befragungen (Deutsche Lebensverlaufsstudie) gewonnen wurden. Für zeitliche bzw. internationale Vergleiche kommt der Standardisierung von Angaben (z.B. zu Berufen, Branchen oder Qualifikationen) und schließlich der Durchführung wiederholender (z.B. Allbus) bzw. länderübergreifender (z.B. European Social Survey) Erhebungen eine große Bedeutung zu. Auch der Zugang zu Aggregat- und Mikrodaten für die Sozialstrukturanalyse spielt eine Rolle; dabei geht es zum einen um die Beziehungen zwischen wissenschaftlicher Sozialforschung und amtlicher Statistik; zum anderen ist die (organisationale wie technische) Verfügbarkeit von Datensätzen für die Sekundäranalyse von großer Bedeutung.
Daten der amtlichen Statistik
Insbesondere im 19. und frühen 20. Jahrhundert entstehen in vielen Nationalstaaten Institutionen der amtlichen Statistik, die summarische Beschreibungen der nunmehr konstituierten Bevölkerungen und Territorien liefern.
- Aggregation von Berufsangaben: In Deutschland wurde das erste auf Berufsangaben der amtlichen Statistik beruhende Modelle 1895 durch den Nationalökonomen Gustav Schmoller ermittelt; Theodor Geiger legte 1932 eine Studie zur ›sozialen Schichtung des deutschen Volkes‹ vor; Ralf Dahrendorf entwickelt 1965 ein Modell der sozialen Schichtung Westdeutschland. Rainer Geißler (2014, S. 101) replizierte, modifizierte und erweiterte das Dahrendorfsche Modell mit Daten aus dem Mikrozensus 2009.
- Stellung im Beruf: Die spezifische Entwicklung der verschiedenen Sozialversicherungen ermöglicht in Deutschland einen ganz eigenen Zugang zu den längerfristigen Veränderungen der Sozialstruktur. Diese ermöglicht zum einen die Unterscheidung von Arbeitern, Angestellten, Beamten und Selbständigen bzw. Freiberuflern. Zum andern wurden in amtlichen aber auch in nicht-amtlichen Erhebungen diese Gruppen nach ihrer Qualifikation weiter differenziert, indem man z.B. ungelernte, angelernte, Facharbeiter und Vorarbeiter unterschied. Auch wenn die Abgrenzung zwischen den Sozialversicherungen von Arbeitern und Angestellten (spätestens) seit 2005 hinfällig ist, werden diese Kategorien in Befragungen noch erhoben.
Mikrodaten aus Querschnittserhebungen
Die in Querschnittserhebungen der Umfrageforschung erhobenen Mikrodaten haben die Potentiale der Sozialstrukturanalyse fundamental verändert, indem die wissenschaftliche Forschung unabhängig von den Kategorien der amtlichen Statistik eigenen Erhebungsdesigns und Fragestellungen verfolgen konnte.
- Schichtindizes: In der auf Mikrodaten basierenden empirischen Forschung wird die Schichtzugehörigkeit zumeist über die Angaben zu Beruf, Bildung und Einkommen ermittelt. Zunächst wurden recht einfach konstruierte additive Indices für nationale Analysen entwickelt. Später entstanden dann auch international vergleichbare Schichtindices. Diese Indices können zunächst für die Beschreibung sich verändernder Sozialstrukturen genutzt werden; weitaus häufiger wurden sie jedoch angesichts ihrer metrischen Skalierung als unabhängige Variable z.B. in der bildungssoziologischen (z.B. in den PISA-Studien) oder gesundheitswissenschaftlichen Forschung genutzt.
- Soziale Selbstverortung: Zudem wurde in Befragungen auch auf die Möglichkeit der offenen oder standardisierten Selbstzuordnung zu sozialen Schichten bzw. der Selbstverortung auf einer 10er-Skala (oben-unten) zurückgegriffen. So rechneten sich z.B. im Jahr 2018 in West- bzw. Ostdeutschland 2 bzw. 3% der Unterschicht zu, 23 bzw. 36% der Arbeiterschicht, 61 bzw. 56% der Mittelschicht und 14 bzw. 5% der oberen Mittel bzw. Oberschicht zu (Datenreport 2021, S. 276).
Haushalts- und Paneldaten
Das große Potential von Haushalts- und Paneldaten wurde in der Sozialstrukturanalyse bislang nur bedingt ausgeschöpft. So werden Haushaltsinformationen genutzt, um auf Basis der Angaben der einzelnen befragten Haushaltsmitglieder ein möglichst exaktes Gesamteinkommen des Haushalts und schließlich unter Berücksichtigung der Haushaltsstruktur ein so genanntes Nettoäquivalenzeinkommen zu ermitteln. Diese Nettoäquivalenzeinkommen werden für einzelne Personen berechnet, in ihre Höhe gehen aber alle Einkommensquellen des Haushalts und die über die Zahl von Erwachsenen und Kindern modellierten Bedarfsstrukturen ein.
- In der Armutsforschung werden auf Basis des Nettoäquivalenzeinkommen Armutsquoten verschiedener Bevölkerungsgruppen ermittelt. Wenn zudem der Panelcharakter von Befragungen genutzt wird, lassen sich Aussagen über die Dauer von Armutsphasen oder über Verfestigung von Armut treffen.
- Für Sozialstrukturanalyse lassen sich einfache oder kumulierte Einkommensverteilungen ermitteln, die unabhängig von der Konstruktion sozialen Gruppen auf der Mikroebene über die Verteilung wichtiger Ressourcen informieren. Sozial strukturierte Einkommensverteilungen ermöglichen dann eine Verknüpfung von Struktur- und Verteilungsperspektive.
- Schließlich werden Haushalts- und Paneldaten auch für die Konstruktion komplexerer Sozialstrukturmodelle genutzt. So werden im Kontext der Armuts- und Reichtumsforschung soziale Lagen rekonstruiert, indem angelehnt an Geiger Einkommenslagen und Lebenslagen miteinander verknüpft werden.
- In einem anderen Modell werden für die Rekonstruktion sozialer Lagen neben den Haushaltsdaten vor allem die biographischen Informationen genutzt, die über das Panel bzw. retrospektive Befragungen gewonnen wurden. Damit lassen sich soziale Lagen in einer Längsschnittperspektive analysieren.
- In der Mobilitätsforschung werden Paneldaten genutzt, um Informationen über die Einkommensmobilität oder die soziale Mobilität zu erhalten.
Kommentar
Trotz gewisser Konventionen im Gebrauch von Klassen- und Schichtenbegriffen ist vor einem nominalistischen Verständnis der Begriffe oder einer historischen Ordnung (von Klassengesellschaften zu geschichteten Gesellschaften) zu warnen. Die zugegebenermaßen unübersichtliche Situation ist historischen Veränderungen bzw. Differenzierungen im wissenschaftlichen und politischen Feld, aber auch im Alltagsgebrauch (in verschiedenen Ländern) geschuldet. Daneben spielen schließlich auch eher theoretische Überlegungen eine Rolle, wie an der parallelen Begriffsverwendung bei Dahrendorf oder Parsons deutlich wird.
Angesichts der Vielzahl von Ungleichheitsmomenten in komplex strukturierten Gesellschaften ist ein weiter gefasster Schichtenbegriff, wie von Geiger vorgeschlagen, sinnvoll. Die mit dem Klassenbegriff mitunter implizierten Aussagen (z.B. über Sozialgruppen mit widerstreitenden Interessenlagen, über gesellschaftliche Machtverhältnisse bzw. über geringe Grade der sozialen Durchlässigkeit) lassen sich auch mit dem Schichtenbegriff verknüpfen, wenn dieser nicht nur als eine empirische Beschreibung von Ressourcenunterschieden begriffen wird.
Literatur
Dahrendorf, Ralf 1968: Gesellschaft und Demokratie in Deutschland, München: dtv
Datenreport 2021, hrsg. vom Statistischen Bundesamt, Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung und Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung, Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung
Davis, Kingsley/ Moore, Wilbert E. 1967 [1945]: Einige Prinzipien der sozialen Schichtung, in: Moderne Amerikanische Soziologie. Neuere Beiträge zur soziologischen Theorie, hrsg. von Heinz Hartmann, S. 347-357, Stuttgart: Enke
Ganzeboom, Harry 2010: A new International Socio-Economic Index (ISEI) of occupational status for the International Standard Classification of Occupation 2008 (ISCO-08), Paper presented at Annual Conference of International Social Survey Programme, Lisbon
Geiger, Theodor 1932: Die soziale Schichtung des deutschen Volkes. Soziographischer Versuch auf statistischer Grundlage, Stuttgart: Enke
Geißler, Rainer 2014: Die Sozialstruktur Deutschlands, Wiesbaden: VS Verlag
Parsons, Talcott 1964a [1940]: Ansatz zu einer analytischen Theorie der sozialen Schichtung, in: Parsons, Talcott. Beiträge zur soziologischen Theorie (hrsg. von Dietrich Rüschemeyer), Neuwied: Luchterhand, S. 180-205
Parsons, Talcott 1964b [1949]: Soziale Klassen und Klassenkampf im Lichte der neueren soziologischen Theorie, in: Parsons, Talcott. Beiträge zur soziologischen Theorie (hrsg. von Dietrich Rüschemeyer), Neuwied: Luchterhand, S. 206-222
Schmoller, Gustav 1897: Was verstehen wir unter dem Mittelstand? Hat er im 19. Jahrhundert zu oder abgenommen?, in: Die Verhandlungen des Achten Evangelisch-Sozialen Kongresses, Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht, S. 132–161