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Arbeitswelten

Typischerweise werden für Sozialstrukturanalysen Daten über Berufe, über Einkommen und Bildung genutzt. Hier geht es darum, dass mit diesen so konstruierten sozialen Lagen stets auch ganz unterschiedliche Arbeitswelten und Arbeitserfahrungen verknüpft sind. Nicht selten ist es so, dass geringe materielle Ressourcen auch mit Erfahrungen der Unterordnung, der Abwertung und der Prekarität von Beschäftigung verbunden sind.

Überblick:

Die Welt der Arbeit

Wenn man an Arbeit denkt, fallen einem schnell Bilder aus der Industrialisierung zu Ende des 19. Jahrhunderts ein: rauchende Schlote, große Produktionsstätten und Arbeitsbedingungen, die von heutigen Standards (zumindest in prosperierenden Ländern) weit entfernt sind. Es gibt dann aber auch die saubere und aufgeräumte Welt der Kontore, die Welt der Angestellten und Beamt:innen. Oft vernachlässigt wird die Welt der häuslichen Arbeit in Stadt und Land. Mit diesen Welten sind ganz spezifische Lebensgeschichten, spezifische Einkommensgeschichten, spezifische Familiengeschichten und schließlich auch spezifische Arbeits- und Lebenserfahrungen verbunden. Arbeitsorte sind stets auch Orte, an denen soziale Positionierungen unmittelbar erfahrbar sind. Das drückt sich in betrieblichen Hierarchien, in Einkommen aber auch in den spezifische Beschäftigungsverhältnissen und Arbeitsplätzen aus. Es geht aber auch um die Arbeitsinhalte: sind es eher stoffliche und technische Tätigkeiten, geht es eher um die Arbeit mit und an Personen oder ist es eher organisationale Arbeit z.B. im Kontext von Verwaltungseinrichtungen?

Wenn das genauer interessiert; hier die Besprechung eines spannenden Buches von Axel Honneth.

Für das Verständnis von Sozialstrukturen sind all diese Momente von großer Bedeutung, weil es am Ende nicht nur um die materiellen Lage geht, sondern auch um Erfahrungen, um Fragen der Wertschätzung, der Sicherheit etc. In der folgenden Darstellung wird versucht, einige dieser Momente gemeinsam zu beobachten; das wird darüber möglich, das all die benannten Merkmale nicht zufällig verteilt sind, sondern miteinander im Zusammenhang stehen.

In der folgenden Darstellung wird ein Korrespondenzanalyse auf Basis der Daten aus der Erwerbstätigenbefragung genutzt, um ein Bild von der Welt der Erwerbsarbeit zu zeichnen. [Graphik in hoher Auflösung]

Eigene Berechnungen mit Daten der Erwerbstätigenbefragung 2012.
Abb.: Die Welt der Erwerbsarbeit

Korrespondenzanalysen liefern zwei und mehrdimensionale Darstellungen von Zusammenhangsbeziehungen. Die Basis sind z.B. einfache Kreuztabellen, die über die Korrespondenzanalyse visualisiert werden. D.h. die räumliche Struktur entsteht nicht über Vorgabe einer Ordnung durch die Forschenden; sie entsteht vielmehr, indem ein Algorithmus versucht, Ähnliches in großer Nähe und Unähnliches in großer Distanz darzustellen. Die Frage der Ähnlichkeit bzw. Unähnlichkeit wird auf Basis der Zeilen- und Spaltenprofile der zugrunde liegenden Kreuztabelle ermittelt. Es bleibt dann den Forschenden überlassen, das so entstandene Nähe- bzw. Distanzbild zu lesen. So steht die erste Dimension (hier die Vertikale) augenscheinlich mit der sozioökonomischen Positionierung in Zusammenhang; die Bildungsabschlüsse, die Einkommensklassen sind vor allem in dieser Dimension ausgerichtet. Die zweite Dimension ist schwerer zu interpretieren; sie hängt eher mit der Art der Arbeit und tendenziell mit ihrer geschlechtlichen Zuordnung zusammen. In der Mitte der Darstellungen finden sich schließlich eher Charakteristika, die für den Durchschnitt der Erwerbstätigen bedeutsam sind.

Viele Kürzel sollten sich selbst erklären; einige müssen erläutert werden. Die in der Erwerbstätigenbefragung verfügbaren Angabe wurden genutzt, um die Befragten verschiedenen sozialen Lagegruppen zuzurechnen; diese sind in der Graphik abgetragen: UL steht für untere soziale Lagen, UmL für untere mittlere Lagen, OmL für obere mittlere Lagen und OL schließlich für obere soziale Lagen. Hinter HS, RS und FHS verbergen sich Schulabschlüsse von Haupt-, Real- und Fachoberschulen.

Der folgende Textauszug ist meiner Monographie Stabile Ungleichheiten (2022, S. 598-608) entnommen.

Überblick über die Korrespondenzanalyse

[Beginn des Textauszugs]

Um die verschiedenen Aspekte der Erwerbsarbeit in ihren sozialen Zusammenhängen darstellen zu können, wurden mit den Daten der Erwerbstätigenbefragung des Bundesinstituts für Berufsbildung und der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin Korrespondenzanalysen durchgeführt. Über die Korrespondenzanalyse wird ein dreidimensionaler Raum der Arbeit und ihrer Einbindung in den Lebensverlauf aufgespannt: Die (vertikale) Hauptachse (etwa 49% der Inertia) korrespondiert in sehr starkem Maße mit den schulischen Abschlüssen, den Einkommen und den sozialen Lagegruppen, die sich wie eine Perlenschnur entlang dieser Dimension ausrichten. D.h. die wesentliche soziale Differenzierung erfolgt über das zertifizierte kulturelle Kapital, das als eine wichtige Eintrittskarte in die qualifikatorisch verschiedenen Arbeitsfelder fungiert bzw. über das ökonomische Kapital, das dann aus den Einkommens- und Gewinnmöglichkeiten in diesen Arbeitsfeldern erzielt wird. Wendet man sich der Frage zu, welche Personengruppen über die vertikale Differenzierung unterschieden werden, so fällt der Blick auf den Migrationshintergrund.[1] Hier zeigt sich jedoch, dass sich grenzüberschreitende Lebens- und Generationenverläufe in dieser Allgemeinheit nur bedingt in den Positionierungen auf dem Arbeitsmarkt niederschlagen. Betrachtet man nur die monatlichen Einkommen, so geben ›Deutsche mit Migrationshintergrund‹ und ›Ausländer‹ im Durchschnitt sogar etwas höheren Einkommen an als jene ohne Migrationshintergrund. D.h. die schlechtere soziale Positionierung von Menschen mit Migrationshintergrund, wie sie z.B. in der Armutsstatistik erscheint, geht vor allem darauf zurück, wie gut bzw. schlecht es dieser Gruppe gelingt, auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. Diejenigen, die hier erfolgreich waren, sind eher besser positioniert als die ohne Migrationsgeschichte.

Stärkere Lageunterschiede finden sich zwischen den Erwerbstätigen aus den alten und neuen Bundesländern; das zeigt sich z.B. bei den Einkommen. Während die Westeinkommen nach den Angaben der Befragten mit 110% über dem Durchschnitt liegen, werden im Osten nur knapp 80% des Gesamtniveaus erreicht; bei den rechnerisch ermittelten Bruttostundenlöhnen[2] liegt der Anteil sogar nur bei 75%. Wendet man den Blick den Tätigkeitsmerkmalen zu, die über die Vertikale strukturiert werden; so finden sich im oberen Teil des Erwerbsraums eher die gestaltenden Arbeitstätigkeiten im unteren Teil eher die ausführenden Arbeiten im Bereich der Produktion wie der Dienstleistungen.

Die horizontale Achse (ca. 18% der Inertia) steht in starkem Zusammenhang mit den geschlechtsspezifischen Differenzierungen der Arbeitswelt. Die Hintergründe dieser geschlechtlichen Ordnungen sind vielgestaltig und in einem langen Wechselspiel der verschiedenen differenzierungsrelevanten Arenen entstanden. Sie erscheinen in den vorliegenden Daten als Unterscheidung der typischen Tätigkeitsfelder, als Unterschiede in der Entlohnung, als Unterschiede der biografischen Verläufe, als Unterschiede in der Positionierung in der betrieblichen Hierarchie und als Unterschiede in den Beschäftigungsverhältnissen. Über die geschlechtsspezifisch unterschiedliche Einbindung der Erwerbstätigkeit in den Lebensverlauf (insbesondere in der sogenannten Familienphase) teilt diese Achse auch alle Arbeitszeitformen unterhalb der 31 Stundenmarke, die sich auf der rechten Seite befinden, von denen, die 31 bis 45 bzw. 45 und mehr Stunden umfassen und sich auf der linken Seite befinden. Im Zusammenspiel mit der ersten Dimension wird erkennbar, dass man es mit vier Segmenten zu tun hat; die Segmente der höheren und der niedrigen und geringen Arbeitsvolumina der ›Teilzeitarbeit‹ oben und unten rechts und die Segmente der überdurchschnittlichen und der durchschnittlichen Arbeitsvolumina der ›Vollzeitarbeit‹ oben und unten links. Mit der Verteilung der Arbeitsvolumina korrespondieren in hohem Maße auch die durchschnittlichen Unterschiede in der lebensverlaufsspezifischen Einbindung von männlicher und weiblicher Erwerbsarbeit. Sie führen dazu, dass sich die Dauer der Betriebszugehörigkeit in den rechten und linken Quadranten unterscheidet. Eher kürzere Dauern der Betriebszugehörigkeit (0 bis 5 Jahre) finden sich auf der rechten Seite; eine mittlere Betriebszugehörigkeit von 5 bis 10 Jahren ist im Zentrum angesiedelt; Betriebszugehörigkeiten von 10 bis 20 oder von 20 und mehr Jahren finden sich auf der linken Seite. Mit Berücksichtigung der ersten Achse wird deutlich, dass die Dauer der Betriebszugehörigkeit auch mit einer Besserstellung beim Kapitalvolumen einhergeht.

In anderer Perspektive wird die unterschiedliche Einbindung von Erwerbsarbeit in weibliche und männliche Lebensverläufe sichtbar, wenn man fragt, in welchem Maße, die Erwerbsverläufe durch Phasen der Nichterwerbstätigkeit oder der Arbeitslosigkeit unterbrochen wurden. Dann finden sich im rechten unteren Quadranten all jene, deren Lebensverläufe in stärkerem Maße durch längere (mehr als 10% der potenziellen Erwerbsdauer[3]) z.B. familienbedingte Erwerbsunterbrechungen oder durch längere (mehr als 10% der potenziellen Erwerbsdauer) Phasen der Arbeitslosigkeit geprägt sind. Liegen diese Anteilswerte unter 10%, handelt es sich also z.B. eher um sogenannte Friktionsarbeitslosigkeit, ist die Beschäftigtengruppe zwischen den beiden unteren oder im linken unteren Quadranten lokalisiert. Auch die Varianten der befristeten und der flexibilisierten Arbeit, Arbeit auf befristeten Stellen, Zeitarbeit und geringfügige Arbeit sind in dem Segment unten rechts verortet. Auf Basis dieser Befunde ließe sich die »klassische Frage« nach dem Verhältnis von »class, gender und race« recht einfach klären; während die Dimension race eher mit den sozioökonomischen Differenzierungen, die über die Dimension class abgebildet werden, korrespondiert, sind die Differenzierungen in der Dimension gender als eine eher unabhängige Achse zu begreifen. Eine dritte hier nicht dargestellte Achse (ca. 10% der Inertia) differenziert Tätigkeiten nach dem Grad ihrer Selbstständigkeit und unterscheidet die beruflichen Gruppen nach den Beamten auf der einen und den Selbstständigen auf der anderen Seite. D.h. in der dritten Achse werden das Arbeitsmarktsegment des öffentlichen Dienstes und insbesondere das Beamtentum erkennbar, das mit der Bereitstellung von Infrastrukturen und mit der Regulation des Produktions- und Reproduktionsprozesses befasst ist. D.h. die beiden oberen Quadranten, in denen sich in der zweidimensionalen Darstellung z.B. Unternehmer mit kleineren oder mittleren Betrieben und höhere Beamte eng beieinander finden, sind in der dritten Dimension stark unterschieden. Das zeigt sich neben den Berufen (selbstständige Berufe vs. Beamte) auch in den Tätigkeitsfeldern; so ist Einkaufen, Beschaffen und Verkaufen aber auch Werbung und Marketing eine Domäne der unternehmerischen Tätigkeit. Bei den Beamten spielt dies keine erhebliche Rolle. Während die Unternehmer:innen häufig bekunden, dass kleine Fehler oft große Folgen haben, sagen die Beamten, dass das eigentlich nie der Fall sei. Umgekehrt finden sich Tätigkeitsbereiche, wie das Lehren, Unterrichten und Erziehen, die bei den Beamten eine wichtige Rolle spielen, in der selbstständigen Arbeit jedoch kaum. Interessant ist, dass neben den unterschiedlichen Arbeitsinhalten auch die Frage der Gestaltbarkeit der Arbeit zu großen Unterschieden führt. Während die Selbstständigen angeben, einen großen Einfluss auf die Arbeitsmenge zu haben, beklagen sich die anderen, dass dies selten oder nie der Fall sei. In der Differenzierung der dritten Dimension findet sich vieles von dem wieder, was Bourdieu als den Chiasmus der herrschenden Klasse beschrieben hatte, die Binnendifferenzierung von Erwerbstätigen mit einem hohen Kapitalvolumen in jene, die stärker über ökonomisches und weniger über kulturelles Kapital verfügen, und jene, bei denen das kulturelle Kapital überwiegt. Die Differenzen im zertifizierten kulturellen Kapital sind inzwischen deutlich geringer geworden – ein Fortbestand der Differenzen im inkorporierten kulturellen Kapital kann nur vermutet werden. Übrig bleibt aber die sehr unterschiedliche organisationale Einbindung der beiden herrschenden Gruppen, der Staatselite und der Wirtschaftselite.

Entlang dieser zwei bzw. drei Dimensionen werden nun die einzelnen Segmente des Raums der Arbeit (und seine Einbindung in den Lebensverlauf) genauer analysiert. Man sollte die Darstellungen, die die Korrespondenzanalyse liefert, dabei als eine Art ›Gesamtkunstwerk‹ betrachten, dessen Wert in der Zusammenschau verschiedener Perspektiven liegt – daher ist sie für die hier favorisierte Analyseebene von großer Bedeutung; jedes einzelne dieser Phänomene kann mit anderen Instrumenten weitaus besser analysiert werden.

Man kann sich vorstellen, dass die Korrespondenzanalyse die Zeilen- und Spaltenprofile entlang ihrer Zentralität bzw. Dezentralität (in den verschiedenen oben beschriebenen Dimensionen) ›ordnet‹. Bevor nun auf die durch die dimensionierenden Achsen strukturierten und abgegrenzten Quadranten des Erwerbsraums eingegangen wird, soll zuerst über das Zentrum des Erwerbsraums gesprochen werden. Auch wenn der Begriff der Marktgesellschaft etwas anderes meint, kommt er doch in den Sinn, wenn sich im Zentrum jene Erwerbstätigen finden, die sagen, dass sie häufig mit Einkaufen, Beschaffen, Verkaufen befasst sind; das umfasst so unterschiedliches wie den Verkauf von Brötchen, von Werkzeugmaschinen, von Unternehmensteilen oder von Aktienpaketen. Im Übrigen findet sich eine breite Palette unterschiedlicher Tätigkeitsbereiche, über die sich die ›durchschnittliche Arbeit‹ charakterisieren lässt; nicht weniges erinnert auch an die obigen Ausführungen Jahodas.

Dies verweist auf einen wichtigen Aspekt, der unter dem sozialwissenschaftlichen Dogma der ›funktionalen Differenzierung‹ gern übersehen wird. Wir haben es im Zentrum des Erwerbslebens scheinbar eher mit einer hohen funktionalen Integration (nicht unbedingt an jedem Arbeitsplatz) zu tun, während die spezialisierten Tätigkeit eher an den oberen und unteren Rändern dieses Raums zu finden sind: die Spezialisierung auf die belastende körperlich technische Arbeit, die Spezialisierung auf die wenig geachteten eher repetitiven Tätigkeiten in den einfachen Dienstleistungen und umgekehrt die Spezialisierung im technischen, organisationalen und interpersonalen Bereich am oberen Ende des Erwerbsraums.[4] Auch bei den geschilderten Spezifika dieser allgemeinen Arbeit und bei den damit verbundenen Belastungen erfährt man viel über das Gemeine der Erwerbsarbeit und mittelbar auch viel über ihre Bedeutung für die Erwerbstätigen.

Man muss häufig beruflich kommunizieren und wird umgekehrt häufig gestört und bei der Arbeit unterbrochen (»z.B. durch Kollegen, schlechtes Material, Maschinenstörungen oder Telefonate«). Man ist mit Dingen konfrontiert, die man eigentlich nicht gelernt hat; dennoch fühlt man sich fachlich den Anforderungen gewachsen. Manchmal kommt es vor, dass sich Arbeitsvorgänge wiederholen; es gibt aber manchmal auch die Möglichkeit, »bisherige Verfahren [zu] verbessern oder etwas Neues aus[zu]probieren«. Man muss häufig schnell arbeiten, auch die Vorgabe von Mindestleistungen bzw. -stückzahlen oder der Termindruck belastet, aber man kommt meist mit dem Arbeitspensum zurecht. Bei den sozialen Erfahrungen wird deutlich, dass Arbeit auch in allseitig rationalisierten Kontexten mit Gefühlen der Vergemeinschaftung und der Wertschätzung verbunden ist. Man begreift sich am Arbeitsplatz als Teil einer Gemeinschaft und hat häufig das Gefühl, dass die eigene Tätigkeit wichtig ist. Auch die Zusammenarbeit mit den Arbeitskollegen bzw. mit den Mitarbeiter:innen wird häufig als gut bezeichnet. Das bei diesen Selbstauskünften auch Effekte der sozialen Erwünschtheit und der Autosuggestion eine Rolle spielen, ist zu vermuten; d.h. man erfährt zugleich etwas über die Arbeitswirklichkeiten, wie über das Vermögen, sich mit diesen Wirklichkeiten zu arrangieren.

Mit der Erwerbsarbeit sind durchschnittlich eher Erfahrungen der Kontinuität verbunden; so finden sich in dem durchschnittlichen Segment jene, die über eine 5-10‑, aber auch über eine 10-20-jährige Beschäftigungsdauer in den jeweiligen Unternehmen bzw. Dienststellen zurückblicken können. Unbefristete Tätigkeiten sind hier die Regel; man muss sich zwar auf die Arbeit am Samstag einlassen, Zeitarbeit oder Bereitschaftsdienste spielen aber keine Rolle.

In diesem Quadranten dominieren einfache Dienstleistungstätigkeiten; das sind zum einen Tätigkeiten im Bereich der Reinigung, der Abfallbeseitigung und des Recyclings und zum anderen Tätigkeiten in der Gastronomie und der Beherbergung. Zudem sind auch Einkaufs‑, Beschaffungs- und Verkaufstätigkeiten sowie Tätigkeiten des Transportierens, Lagerns und Versendens hinzuzurechnen, die im am Rande des Quadranten liegen. Diese Tätigkeiten sind zumeist sehr klar abgegrenzt; während andere Bereiche eher durch die Mischung verschiedener Tätigkeitsfelder charakterisiert sind, zeichnet sich dieser Quadrant dadurch aus, dass viele Tätigkeitstypen niemals ausgeführt werden; dementsprechend kommt es in diesem Bereich häufig vor, dass den Beschäftigten »die Arbeitsdurchführung bis in alle Einzelheiten vorgeschrieben ist« und dass »sich ein und derselbe Arbeitsgang bis in alle Einzelheiten wiederholt« (so der Text des Fragebogen). Damit geht interessanterweise einher, dass sich die Beschäftigten in diesem Segment fachlich sowohl unterfordert wie überfordert fühlen. Beim Arbeitspensum wird oft eher eine Unterforderung angegeben.

Die typischen Arbeitszeiten lassen sich durchgängig dem unteren Segment der Teilzeitarbeit bzw. der geringfügigen Arbeit zurechnen. Die Beschäftigungsverhältnisse sind in diesem Bereich eher dereguliert; so finden sich verstärkt befristete Tätigkeiten, geringfügige Tätigkeiten und Leiharbeit. Auch Beschäftigte, die angegeben, über keine festen Arbeitszeitvereinbarungen zu verfügen, finden sich in diesem Quadranten.

Die für dieses Segment typischen Beschäftigtengruppen sind un- und angelernte Arbeiter:innen, einfache Angestellte und schließlich mithelfende Familienangehörige. Während un- und angelernte Arbeiter in den Hochzeiten der Industriegesellschaft eine wichtige Rolle in der industriellen Arbeit spielten, finden sie sich nun zusammen mit den einfachen Angestellten in stärkerem Maße im Dienstleistungsproletariat. Auch wenn die Unterschiede von Menschen mit verschiedenen Migrationsgeschichten im Erwerbsleben nicht besonders ausgeprägt sind, finden sich Beschäftigte mit einem direkten oder indirekten Migrationshintergrund überproportional in diesem Beschäftigungssegment vertreten.

Das verweist darauf, dass wir es hier mit dem bezogen auf die Beschäftigungsdauer bzw. den Lebensverlauf dynamischsten Teil des Erwerbsraums zu tun haben. Hier treffen sich jene, denen es unter den gegebenen Rahmenbedingungen und angesichts ihres Qualifikations- oder Handicapportfolios nicht gelingt, in die besseren Teile der Arbeitswelt vorzustoßen, jene, deren Arbeit aus dem sicheren Segment ›outgesourct‹ wurde, jene, die biografisch bedingt ›irgendeine‹ Arbeit aufnehmen müssen, oder auch jene, deren Qualifikationen nach einer Migration nicht anerkannt oder deren Qualifikationen zeitlich bzw. technisch entwertet wurden.

In diesem Quadranten finden sich all jene Tätigkeiten, die mit der technikdominierten Warenproduktion in industriellen aber auch in handwerklichen (und landwirtschaftlichen) Betrieben[5] zu tun haben. Der hohe Stand der technischen Entwicklung und der Rationalisierung bedingt, dass dem Überwachen und Steuern aber auch dem Reparieren und Instandsetzen eine hohe Bedeutung zukommt. Der enge Bezug zu den Stoffen und zu den Maschinen, die diese Stoffe verändern, bedingt, dass man insbesondere im handwerklichen Bereich häufig mit Öl, Fett und Schmutz, mit Gefahrstoffen, mit Rauch, Staub und Dämpfen, mit Kälte und Hitze, Nässe und Zugluft zu tun hat. Schutzkleidung verschiedener Art kann diese Einflüsse mindern, geht aber mit anderen Problemen einher. Die Handhabung der Maschinen bringt Erschütterungen, Stöße und Schwingungen aber auch Lärm mit sich, die Beleuchtung ist entweder zu grell oder zu schwach. Trotz der entwickelten Technik sind insbesondere im handwerklichen Bereich körperliche Kraft und Geschicklichkeit weiterhin ein wichtiges Tätigkeitsmerkmal.

In dem gehobenen Teil dieses Segments treten all diese Belastungen etwas zurück, sind aber nach wie vor präsent, und es geht stärker um das Messen und Prüfen, um die Kontrolle von Qualität und um Überwachung, Sicherung und Schutz. Zudem spielt hier die Vorgabe von Mindestleistungen und Stückzahlen eine größere Rolle und Beschäftigte berichten, dass sie häufig an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit gehen müssen.

In diesem Segment ist die Vollerwerbstätigkeit die wichtigste Beschäftigungsform und sie wird in diesem Bereich typischerweise eher von Männern als von Frauen ausgeübt. Es sind Facharbeiter und Gesellen, in dem oberen Teil dann Vorarbeiter und schließlich Meister, die diese Tätigkeiten ausführen und organisieren, also jene Berufsgruppen, die für die sozialen Lagen der unteren Mitte als typisch beschrieben wurden. Sie haben einen Haupt- oder Realschulabschluss, an den sich dann die Lehre im dualen System oder andere betriebsnahe Ausbildungen anschließen.

Die differenzierten Möglichkeiten, die spezifischen Tätigkeitsmerkmale dieses Arbeitssegments darstellen zu können, hängen vermutlich auch damit zusammen, dass sich Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin stets in besonderem Maße für die Arbeitsbelastungen im Bereich der männlichen Erwerbsarbeit interessiert haben; d.h. man erfährt in diesen Befragungen nichts über übergriffige Kunden und Klienten und nichts über die spezifischen Belastungen der Emotionsarbeit (Hochschild 2006), die in dem interpersonalen Tätigkeitsfeld nicht selten sind.

In den beiden unteren Segmenten des Erwerbsraums wird dafür gesorgt, dass der gesellschaftliche Produktions- und Reproduktionsprozess jeden Tag aufs Neue funktioniert, dass Waren produziert und Dienstleistungen erbracht werden und dass all das, was dem alltäglich vorausgesetzt oder nachgelagert ist, geschieht. Die Roh- und Betriebsstoffe sowie die Genussmittel, die Maschinen und Menschen in Gang halten, aber auch die fertigen Produkte müssen transportiert werden, Maschinen aller Art müssen gewartet werden, der Müll muss beseitigt und die Arbeitsplätze gesäubert werden.[6]

In den beiden oberen Quadranten, um die es im Folgenden gehen wird, finden sich demgegenüber jene, die den gesellschaftlichen Produktions- und Reproduktionsprozess gestalten, indem sie Organisationen und die darin verrichtete Erwerbsarbeit gestalten, indem sie im Sinne der Regulierung Rahmenbedingungen setzen, indem sie Menschen für die Arbeit qualifizieren und physisches wie psychisches Arbeitsvermögen wiederherstellen oder jene betreuen, die nicht (mehr) am Erwerbsleben beteiligt sind. Da die Abgrenzung zwischen den beiden graphisch dargestellten Quadranten nicht immer einfach ist und da wie erwähnt auch die dritte Dimension eine gewisse Rolle spielt, werden die beiden oberen Quadranten hier zusammen darstellt.

Wie die Zwischenüberschrift andeutet, kommen bei den typischen Tätigkeiten in diesen beiden Quadranten recht unterschiedliche Arbeitsfelder zusammen. Das Gemeinsame liegt darin, dass es eher um die Gestaltung des Produktions- oder des Reproduktionsprozesses geht und dass mit der Gestaltung auch spezifische Machtpotenziale verknüpft sind. Den Tätigkeiten eher technischer Art wären die Tätigkeitsfelder des Entwickelns, Forschens und Konstruierens zuzurechnen, sowie jene, die sich mit dem Organisieren, Planen und Vorbereiten von Arbeitsprozessen befassen. Bei Letzterem gibt es vermutlich fließende Übergänge zu der gestaltenden Arbeit organisationaler Art; hinzukommt der Tätigkeitsbereich Werbung, Marketing und Öffentlichkeitsarbeit. Als Charakteristikum der eher interpersonalen Arbeit können die Tätigkeiten des Pflegens, Betreuens und Heilens und des Ausbildens, Lehrens, Unterrichtens und Erziehens begriffen werden.[7] Allen Feldern gemein sind, wie an der Zentralität in der Horizontalen ersichtlich, die Tätigkeiten der Informationssammlung, Recherche und Dokumentation, der Beratung und Information und die berufliche Arbeit mit Computern und mit internetbasierten Diensten. Häufig müssen die Beschäftigten »Wissenslücken schließen«. An der hier erkennbaren Verteilung der sogenannten ›Wissensarbeit‹ wird aber auch deutlich, dass sich die Rede von der Wissensgesellschaft nur auf einen recht spezifischen Ausschnitt der Erwerbsarbeit bezieht.

Die Tätigkeiten in diesem Erwerbssegment zeichnen sich dadurch aus, dass die Beschäftigten in überdurchschnittlichem Maße »vor neue Aufgaben gestellt werden«, in die sie sich »erst mal hineindenken und einarbeiten müssen« und dass es häufig vorkommt, dass die Beschäftigten »bisherige Verfahren verbessern oder etwas Neues ausprobieren«. Sie müssen häufig »auf Probleme reagieren und diese lösen«; das impliziert, dass sie oft »eigenständig schwierige Entscheidungen treffen müssen«, dass sie »andere überzeugen und Kompromisse aushandeln müssen« und dass sie »Verantwortung für andere Personen übernehmen müssen«. D.h. mit diesen Tätigkeitsfeldern sind auch spezifische soziale Erfahrungen verbunden. So geben viele an, dass sie die Tätigkeit »in Situationen bringt, die sie gefühlsmäßig belasten«. Verglichen mit den anderen Tätigkeitsegmenten ist die formale Autonomie deutlich größer; so hat man häufig auf das anstehende Arbeitspensum Einfluss oder man kann über erforderliche Pausen entscheiden. Die angegebenen Arbeitszeiten liegen regelmäßig über den tariflichen Arbeitszeiten, häufig sogar weit darüber.

Wie bei der Darstellung der verschiedenen Dimensionen bereits angemerkt, finden sich in diesem Tätigkeitsfeld der gestaltenden Arbeit Beschäftigtengruppen, die typischerweise unterschiedlichen Welten zugeordnet werden; jene, die sich gern der ›freien Wirtschaft‹ zurechnen und jene, die unmittelbar oder (über die organisationale Einbindung ihrer Tätigkeit) mittelbar im Staatsdienst stehen. Das scheidet dann verschiedene Gruppen von selbstständig oder freiberuflich Tätigen und einen Teil der hochqualifizierten Angestellten auf der einen Seite und Beamte verschiedener Laufbahnen und hochqualifizierte Angestellte im öffentlichen Bereich auf der anderen Seite. Es sind also jene Gruppen, die bei der Bestimmung der sozialen Lagen typischerweise den Lagen der oberen Mitte und den oberen Lagen zugerechnet wurden. Bei der Konstruktion der Lagegruppen wurde ja bereits skizziert, welche Möglichkeiten der Machtausübung mit diesen Lagegruppen bzw. den typischerweise eingenommenen Positionen verbunden sind. Man kann nun die Selbstbeschreibung der typischen Tätigkeitsfelder dieser Gruppen auch im Sinne solcher Machtpositionen lesen. Wenn es also um Probleme und deren Lösung geht, wenn man schwierige Entscheidungen trifft und Kompromisse aushandelt oder wenn man Verantwortung für andere hat, so geht es bei der gestaltenden Arbeit stets um Entscheidungen und deren machtvolle Durchsetzung, die auf die Weise der gesellschaftlichen Produktion und ihrer Organisation oder auf die Weise der Regulierung erheblichen Einfluss haben. Dem entsprechen nach der herrschenden Logik der Wertigkeit von Arbeiten auch die angegebenen Bruttoeinkommen, bzw. die rechnerisch ermittelten Stundenlöhne. Eine etwas andere Rolle scheinen die Alleinselbstständigen zu spielen; sie sind eher weiblich und eher im unteren Bereich des oberen rechten Segments angesiedelt.

Auch in der Altersstruktur weist dieses Segment ein Spezifikum auf; hier sind überproportional auch jene vertreten, deren berufliche Laufbahn aus verschiedenen Gründen nicht mit der Verrentung oder Pensionierung endet. Auch das kann als ein Insignium von Macht begriffen werden: man entscheidet selbst, wann man abtritt.

Auch wenn die Erwerbstätigenbefragung als Individual- und als Querschnittsbefragung organisiert ist, lassen einzelne Fragen auch die Lebenszusammenhänge (und die damit verbundenen sozialen und temporalen Kumulierungsprozesse) erkennen, in denen die hier beschriebenen Erwerbsarbeiten stehen. Für die soziale Akkumulierung von Kapitalien und Erfahrungen ist bedeutsam, ob man Lebenspartner oder -partnerinnen hat und in welchem Umfang diese erwerbstätig sind und welche Einkommen dabei erzielt werden. Im rechten unteren Segmente finden sich überproportional Frauen, die einer Teilzeit- oder einer geringfügigen Tätigkeit nachgehen; sie haben typischerweise Lebenspartner, die entweder auch nur ein geringes Einkommen erzielen oder es sind Partner, die ein Einkommen im mittleren Bereich aufweisen. Am obersten Rand des unteren rechten Segments finden sich auch Frauen, deren Partner nicht erwerbstätig sind, die also Alleinernährerinnen sind. Im oberen rechten Quadranten, wo Frauen typischerweise zwischen 20 und 30 Stunden arbeiten, finden sich männliche (oder weibliche) Partner:innen, deren Einkünfte gleichfalls im oberen Bereich liegen, wo es also zu einer erheblichen Kumulierung von Einkommen kommt. Bei den befragten Männern gestaltet sich das ähnlich. Im unteren linken Segment finden sich jene Männer, deren Partner:innen über ein eher unterdurchschnittliches Einkommen verfügen, das entspricht dem dominanten 1,5 Ernährermodell; es gibt hier aber auch jene, die sich am männlichen Alleinernährermodell orientieren. In dem oberen linken Segment finden sich dann Männer, deren Partner:innen gleichfalls eher im mittleren und gehobenen Einkommensbereich zu verorten sind, so dass die Kumulierungseffekte nicht unerheblich sind. Die Männer und Frauen, die angegeben, mit keinem Lebenspartner zusammenzuleben, rangieren eher im unteren Einkommensbereich, wobei die Frauen noch fast an die durchschnittlichen Lagen heranreichen; die Männer sind demgegenüber deutlich schlechter gestellt.

Prozesse der temporalen Kumulierung lassen sich ansatzweise über die Fragen zum Erwerbsverlauf und der Dauer der Betriebszugehörigkeit erschließen. Wichtige Befunde waren bereits bei der Darstellung der horizontalen Achse angesprochen worden. Erwerbsbiografien, die in nicht geringem Maße (mehr als 10% der potenziellen bisherigen Lebenserwerbszeit) von Erwerbsunterbrechungen geprägt sind, finden sich überdurchschnittlich bei Erwerbstätigen, die im unteren rechten Quadranten angesiedelt sind, also überproportional bei Frauen und bei weniger qualifizierten Beschäftigten. Das Gleiche gilt für Erwerbstätige, deren Erwerbsbiografien überproportional von Phasen der Arbeitslosigkeit geprägt sind.

[Ende des Textauszugs]


Anmerkungen

[1] Ein Migrationshintergrund kann in der Erwerbstätigenbefragung nur indirekt erschlossen werden, indem die Staatsangehörigkeit und die Sprache bzw. Sprachen, die im Kindesalter als Muttersprache erlernt wurden, betrachtet werden. Personen mit deutscher Staatsangehörigkeit, deren Sprache in der Kindheit nur deutsch war, werden als Deutsche ohne Migrationshintergrund kategorisiert. Personen mit deutscher Staatsangehörigkeit und einer anderen Muttersprache werden als Deutsche mit Migrationshintergrund gefasst. Personen ohne deutsche Staatsangehörigkeit werden unabhängig von der Muttersprache als ›Ausländer‹ bezeichnet.

[2] Die Berechnung erfolgt, indem die Angaben zum Bruttoeinkommen durch die Angaben zu den wöchentlichen (bzw. monatlichen) Arbeitsstunden dividiert wurden. Da mitunter sehr hohe Angaben zu den wöchentlichen Arbeitsstunden gemacht wurden, fallen die rechnerischen Stundenlöhne insbesondere im hohen Einkommensbereich erstaunlich gering aus.

[3] Die potenzielle Erwerbsdauer wurde aus den Angaben zur Aufnahme der ersten Erwerbsarbeit ermittelt.

[4] Es ist jedoch zu berücksichtigen, dass dies auch dem eingesetzten analytischen Verfahren geschuldet ist.

[5] Die Zurechnung zu Industrie und Handwerk geht auf die Angaben der Befragten zurück.

[6] Mayer-Ahuja und Nachtwey sprechen in ihren Berichten aus der Klassengesellschaft (2021:13) von denen, die den »Laden am Laufen« halten, den »verkannten Leistungsträger:innen. Ob im Gesundheitswesen oder im Erziehungsbereich, in der Produktion oder der Logistik«.

[7] Die in der Befragung konstruierten Tätigkeitsbündel sind einem auch geschlechtsspezifisch getrübten und wenig differenzierenden Blick geschuldet. So impliziert die Rubrizierung von Pflegen und Heilen oder von Lehren und Erziehen unter einem Label, dass wesentliche geschlechtsspezifische Differenzierungen verschwinden. Daher wurden für die Korrespondenzanalyse die in der Erwerbstätigenbefragung vorgegeben Tätigkeitsbündel entlang der erforderlichen Ausbildungen statistisch aufgeschlüsselt.