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Vermögen & Eigentum in der Sozialstrukturanalyse

Die Vermögensunterschiede innerhalb bzw. zwischen verschiedenen Nationalgesellschaften sind groß; das kann durch eine Vielzahl von wissenschaftlichen Analysen belegt werden. Diese werden in Medien und Politik diskutiert und es werden Maßnahmen zu ihrer Reduktion eingefordert. Das ist zweifelsohne sinnvoll.

Dennoch ist es für eine sozialwissenschaftliche Einschätzung von Vermögensverhältnissen erforderlich, den Blick zu weiten und nicht nur das private Vermögen, sondern auch das öffentliche Vermögen, das in vielen Sozialstaaten gebildet werden konnte, in den Blick zu nehmen. Das impliziert auch die gesellschaftliche Einhegung von Eigentums- und Verfügungsrechten.

Die Überlegungen auf dieser Seite sowie weitere Beiträge auf der Website sozialstrukturanalyse.de laden dazu ein, Vermögensunterschiede bzw. die sie bedingenden Eigentumsverhältnisse als Schlüssel zu einem erweiterten Verständnis von Gegenwartsgesellschaften und ihren Sozialstrukturen zu verwenden.

Hier ein Überblick über diese Seite:

Vermögensverteilung und soziale Ungleichheiten

Im medialen, politischen aber auch im wissenschaftlichen Diskurs über soziale Ungleichheiten wird neben Einkommensungleichheiten und Armutsquoten vor allem auf Vermögensungleichheiten verwiesen.

So werden vielerlei Anstrengungen unternommen, dem Vermögen auf die Spur zu kommen und es zu messen bzw. zu quantifizieren. Anhand von Ungleichheitsmaßen (z.B. Gini-Indizes) oder Perzentil-Betrachtungen (die obersten x% verfügen über y% des Gesamtvermögens) wird aufgezeigt, dass Vermögen sehr ungleich verteilt sind. Internationale Vergleiche von Gini-Indizes legen den Schluss nahe, dass Vermögensungleichheiten in Deutschland besonders ausgeprägt sind.

Im medialen wie im politischen Raum schließen sich daran kritische bzw. skandalisierende Diskurse und es werden damit Interventionen – oftmals die Besteuerung von Vermögen bzw. von Erbschaften – begründet; dabei finden sich solche Forderungen nicht nur auf Seiten der politischen Linken.

All diese Analysen sind (in ihrer empirischen Fundierung) richtig. Auch der in vielen Darstellungen entwickelten Forderung, dass sich Sozial- und Verteilungspolitik stets mit Fragen des Vermögens befassen sollte, ist in dieser Allgemeinheit vollauf zuzustimmen.

Die Zusammenhänge zwischen den empirisch fassbaren Vermögenswerten und den dahinterstehenden sozioökonomischen Praktiken (bzw. den sie bedingenden Eigentums- und Sozialstrukturen) gestalten sich jedoch weitaus komplexer als es der einfache Schluss von Vermögensdaten auf soziale Verhältnisse (wachsende Schere zwischen Arm und Reich) bzw. durch daraus abgeleitete politische Forderungen suggerieren.

Begriffe

Wenn heute von Vermögen gesprochen wird, so sind damit typischerweise Güter bzw. deren Geldwert gemeint: z.B. materielle oder immaterielle Güter, die der Produktion, der sozialen Sicherung oder dem Konsum dienen. Beim Eigentum geht es typischerweise um Eigentumsrechte, aus denen dann Besitz- und Verfügungsrechte über Vermögen abgeleitet werden.

Vermögen

In der Volkswirtschaftslehre werden Vermögen als bewertete materielle und immaterielle Güter begriffen.

Im engeren Sinne geht es um nicht reproduzierbare (z.B. Boden oder Bodenschätze) und reproduzierbare Sachgüter (z.B. Anlagevermögen wie Gebäude und Maschinen, Energie-, Verkehrs- oder Dateninfrastrukturen oder die langlebigen Gebrauchsgüter der privaten Haushalte) und um Finanzvermögen (z.B. Geld und Geldanlagen, aber auch immaterielle Vermögen wie Lizenzen und Patente).

Im weiteren Sinne werden zusätzlich auch das Humanvermögen (z.B. Qualifikationen, Erfahrungen, Gesundheit), Naturvermögen, kulturelle Vermögen oder das Sozialvermögen (z.B. das Bildungs-, Gesundheits- und Sozialsystem eines Landes) einbezogen.

Vertiefung des Vermögenskonzepts

Eigentum

Beim Eigentum stehen im weiteren Sinne rechtliche Fragen im Vordergrund, wenn es um Besitz- und Verfügungsrechte, aber auch um Exklusionsrechte geht, die mit verschiedenen Typen von privatem, gemeinschaftlichem und gesellschaftlichem Eigentum verbunden sind.

Vordergründig betrachtet geht es bei Eigentumsrechten um Beziehung zwischen natürlichen bzw. juristischen Personen und Vermögensbeständen. Indem die Verfügungsrechte aber stets andere von der Verfügung ausschließen, sind mit Eigentumsverhältnissen auch soziale Verhältnisse und schließlich Machtverhältnisse verbunden.

Vertiefung des Eigentumskonzepts

Probleme des nationalen wie internationalen Vergleichs

Beim Schluss von der Verteilung privaten Vermögens auf dahinterliegende Sozialstrukturen stellen sich (neben vielen methodischen Problemen) drei konzeptionelle Probleme, die in verschiedener Weise solche nationalen und internationalen Vergleiche in Frage stellen:

  • Vergleichbarkeit: Zwar lassen sich viele Arten von Vermögen quantifizieren; sie sind aber damit nicht unbedingt auch vergleichbar. Erste Hinweise liefern bereits die Begrifflichkeiten der Vermögensstatistik und die Bestimmung der verschiedenen Funktionen dieser Vermögen. So werden Funktionen der Einkommenserzielung, der Nutzung, der Sicherung oder der Vererbung unterschieden. Ergänzend wird aber auch auf soziale Funktionen (Prestige, Sozialisation oder Macht) verwiesen. D.h. die Vermögensbestände verschiedener Sozialgruppen (z.B. Selbstständige und abhängig Beschäftigte oder Junge und Alte) lassen sich nur bedingt vergleichen, weil sie in unterschiedlicher Weise mit den Arbeits- und Lebensverhältnissen dieser Gruppen verknüpft sind.
  • Nichtberücksichtigung anderer Vermögensbestände: Neben den betrachteten privaten Vermögensbeständen finden sich vor allem in prosperierenden Ländern mit verschiedenen Typen von Sozialstaaten umfangreiche gemeinschaftliche und gesellschaftliche Vermögensgüter. Die Bedeutung privaten Vermögens lässt sich aber nur im Wechselspiel mit einem mehr oder weniger an gemeinschaftlichen und gesellschaftlichen Vermögen begreifen.
  • Nichtberücksichtigung der gesellschaftlichen Einhegung von Eigentums- und Verfügungsrechten: Die Nationalstaaten sind wesentliche Garanten von privatem Eigentum, aber die Geschichte vieler Nationalstaaten ist auch eine Geschichte der Begrenzung, der mit diesem Eigentum verknüpften Verfügungsrechte. So sind Schutzrechte, Arbeitsrechte, Sozialrechte, Mietrechte oder Beteiligungsrechte entstanden.

In den hier versammelten Beiträgen wird die These vertreten,
– dass die Fragen des Vermögens und des Eigentums von zentraler Bedeutung sind, um die Sozialstrukturen von liberalen Marktgesellschaften zu verstehen,
– dass aber angesichts der benannten Probleme ein direkter Schluss von der Verteilung von Vermögen und Eigentumstiteln auf soziale Ungleichheiten fahrlässig ist.

Vermögen und Eigentum als Schlüssel zur Sozialstrukturanalyse

Der Wandel von Eigentumsrechten und Vermögen

Die Herausbildung der liberalen Marktgesellschaften im 19. Jahrhundert lässt sich grob vereinfacht auf die Formel ›Kapitalismus + Nationalstaat‹ bringen; damit haben sich nach und nach die Strukturen des Eigentums und Vermögens fundamental verändert.

Mit der Durchsetzung der kapitalistischen und industriellen Produktion kommt dem Privateigentum an Produktionsmitteln eine bis heute zentrale Bedeutung zu. Demgegenüber findet sich eine große Gruppe von (mehr oder weniger) abhängig Beschäftigten, für die verschiedene Typen des Arbeitsvermögens im Zentrum ihrer Existenz stehen.

In den prosperierenden Nationalstaaten entstehen aber auch Infrastruktur-Vermögen (Rechts- und Verwaltungsstrukturen, technische Infrastrukturen, Wohnungsbau, Bildungs- und Gesundheitssysteme) und Sozialvermögen (Ansprüche auf soziale Sicherungsleistungen). Dazu gehört dann auch ein großer Arbeitsmarkt, in denen dieses Vermögen verwaltet wird (öffentlicher Dienst) und Dienstleister, die von öffentlichen Aufträgen abhängen. Immobilien- und Grundvermögen können auf der einen Seite (z.B. selbstgenutztes Wohneigentum) als eine soziale Sicherungsinstanz dienen (und vererbt werden); auf der anderen Seite fungieren sie aber auch als ein Geschäftsmodell .

Die privaten Eigentumsrechte, die für den Kapitalismus nach wie vor eine zentrale Rolle spielen, werden mit den entstehenden Sozialstaaten aber auch systematisch begrenzt, indem Schutzrechte (z.B. von Kindern), Arbeitsrechte und Sozialrechte erkämpft werden können.

Für die Sozialstrukturanalyse sind diese verschiedenen Eigentumsrechte und Vermögensformen von zentraler Bedeutung. Wenn man die von Weber entwickelte These, dass man es seit dem Ende des 19. Jahrhunderts mit Marktklassen zu tun habe, aufnimmt, dann ist damit die Vorderbühne präzise beschrieben; man muss aber eben auch die Hinterbühne der Vermögensverhältnisse im Blick haben. Er selbst hatte ja stets mit einer Doppelstruktur von Erwerbs- und Besitzklassen gearbeitet.

Vermögensbestände und Sozialstrukturen

Trotz dieser Einwände können Vermögensdaten als ein Ausgangspunkt für die Analyse von Sozialstrukturen dienen. Auf der Makroebene spiegeln sich in den Vermögen,

  • die Strukturen einer liberalen Marktwirtschaft, in der dem privaten Eigentum eine zentrale Bedeutung zukommt (siehe z.B. die Vermögensformen und Vermögensunterschiede zwischen Selbstständigen und abhängig Beschäftigten)
  • die politische und wirtschaftliche Geschichte eines Landes bzw. einer Region (siehe z.B. die großen Vermögensunterschiede zwischen Ländern und Regionen).
  • die Sozialgeschichte eines Landes (siehe z.B. Vermögensunterschiede zwischen verschiedenen Berufsgruppen oder Personengruppen).
    Dazu gehört auch die Geschichte des Sozialstaats (siehe z.B. Unterschiede in der Quote von Wohneigentum und privater Alterssicherung).

Auf der Mikroebene erfährt man etwas über

  • soziale Kumulierungsprozesse (siehe z.B. die Effekte der sozialen Homogamie von Partnerschaften bzw. privaten Haushalten)
  • über Kumulierungsprozesse im Lebensverlauf (siehe z.B. den allmählichen Aufbau von Vermögen)
  • über Kumulierungsprozesse im Generationenverlauf (siehe z.B. die Bedeutung von Erbschaften und Schenkungen).

Eigentumsrechte und Sozialstrukturen

Entlang der verschiedenen Eigentumsformen und der damit verbundenen Verfügungs- und Exklusionsrechte lassen sich wichtige Grundmuster der sozialen Strukturierung von Gegenwartsgesellschaften rekonstruieren. Zwar spielt die von Marx in den Vordergrund gerückte Frage nach dem Eigentum an Produktionsmitteln nach wie vor eine wichtige Rolle; nur weisen die bei ihm daraus abgeleiteten Klassen (Kapital und Proletariat) sehr große Binnendifferenzierungen auf.

Das hängt vor allem mit der stetigen Ausdifferenzierung von Finanzierungs- und Leitungsfunktionen, mit der technisch-organisationalen Ausdifferenzierung der Produktion und ihrer globalen Reorganisation, mit den sich stets verändernden Qualifikationsanforderungen und schließlich mit der Herausbildung von Sozialstaaten unterschiedlichen Typs zusammen. Darüber entstehen komplexe Hierarchien von sozialen Positionen.

Darin spielen nach wie vor die verschiedenen mit dem Produktionsmittelbesitz verbundenen Verfügungsrechte eine wichtige Rolle. Daneben sind aber auch die daraus abgeleiteten Weisungsrechte bzw. die Qualifikations- und Anerkennungsunterschiede, die sich in der hierarchischen Organisation von Betrieben und Verwaltungen ausdrücken, von zentraler Bedeutung.

Auch die unterschiedlichen Rechtsformen von Institutionen, z.B. von Unternehmen (privates Eigentum), von Einrichtungen der Gebietskörperschaften (öffentliches Eigentum) oder von Organisationen ohne Erwerbscharakter (z.B. Eigentum von Kirchen, Wohlfahrtsverbänden, Parteien oder Gewerkschaften) bilden sich in der sozialen Positionierung und den Rechten der dort Beschäftigten ab. Dabei sind auch die unterschiedlichen Finanzierungsformen dieser Institutionen (Kapital aus verschiedenen Quellen, Steuern und Abgaben oder Beitragszahlungen) bedeutsam.

Reproduktion sozialer Lagen

Institutionell gesicherte Eigentumsrechte und Vermögensbestände spielen eine zentrale Rolle bei der Reproduktion von sozialen Lagen:

  • Indem Vermögen rechtlich (Schutz des Privateigentums, Rechtsansprüche auf soziale Sicherung) und institutionell (komplexe Verwaltungsapparate und Regelsysteme) abgesichert sind, bilden sie gewissermaßen das Rückgrat von Sozialstrukturen.
  • Vermögen prägen die Arbeits- und Lebenschancen und die dabei eingeschlagenen Strategien in zentraler Weise. So geht es z.B. um die Verbesserung, den Erhalt und die Anlage von Arbeitsvermögen, um die produktive oder spekulative Anlage von Vermögen oder um den Erwerb und die Verwaltung von Immobilien. Die in Berufs- oder Branchenklassifikationen erscheinende ›flache Ordnung‹ verstellt den Blick darauf, dass die Erwerbstätigkeiten in unterschiedlicher Weise mit den verschiedenen Vermögensbeständen in Zusammenhang stehen.
  • Die unterschiedlichen Vermögensbestände fungieren als eine nicht zu unterschätzende Instanz der Vererbung- und Sozialisation. So wachsen Kinder und Jugendliche in recht unterschiedlichen Vermögenswelten auf; damit sind oft auch abgegrenzte Öffentlichkeiten und Erfahrungswelten verbunden (z.B. segregierte Wohnquartiere oder Bildungseinrichtungen).
  • Die Berücksichtigung der unterschiedlichen Vermögensbestände (und die damit verbundenen Orientierungen und Interessen) erhellt auch den Blick auf zentrale gesellschaftliche Konflikte: so z.B. Konflikte um Vererbung und Umverteilung, Konflikte um den Sozialstaat (Wohnungsbau oder Mieterschutz) und schließlich auch Konflikte um den Zugang zum Sozialstaat und seinen Infrastrukturen (Zuwanderung und Einbürgerung).

Vertiefung: Eigentum – Vermögen – Sozialstruktur

Weitere Beiträge auf dieser Website

Klärung zentraler Konzepte:

Empirische Analysen:

Literatur

Mau, Steffen; Westheuser, Linus; Lux, Thomas 2024: Triggerpunkte. Konsens und Konflikt in der Gegenwartsgesellschaft, Berlin: Suhrkamp

Piketty, Thomas 2014: Das Kapital im 21. Jahrhundert, München: C.H. Beck

Piketty, Thomas 2020: Kapital und Ideologie, München: C.H. Beck

Reckwitz Andreas 2017: Die Gesellschaft der Singularitäten. Zum Strukturwandel der Moderne, Berlin: Suhrkamp

Reckwitz, Andreas 2019: Von der nivellierten Klassengesellschaft zur Drei-Klassen-Gesellschaft. Neue Mittelklasse, alte Mittelklasse, prekäre Klasse, in: ders., Das Ende der Illusionen. Politik, Ökonomie und Kultur in der Spätmoderne, Berlin: Suhrkamp, S. 63-133

Wesche, Tilo 2025: Einleitung. Was ist Eigentum?, in: Angebauer/ Blumenfeld/ Wesche, Umkämpftes Eigentum, Berlin: Suhrkamp, S. 9-54