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Einkommenswelten

Im Folgenden werden Sozialstrukturen in der Einkommensperspektive betrachtet. Das bietet einige Vorteile, weil Einkommensdaten leicht verfügbar sind, weil sie für viele Weltregionen vorliegen und weil sie (zumindest auf den ersten Blick) vergleichbar sind. Umgekehrt kann Vieles, was für Sozialstrukturanalysen bedeutsam ist, über Einkommen nicht angemessen erfasst werden. Daher soll versucht werden, die Einkommensinformation als eine Art ›Sonde‹ zu begreifen, die auch Aufschlüsse über umgebende soziale Phänomene ermöglicht.

Die Schlüsselrolle der Einkommen gilt in besonderem Maße für prosperierende Marktgesellschaften, wie z.B. Deutschland. Die in den Haushalten erzielten Markteinkommen sind zu einer wesentlichen Quelle einer auskömmlichen Lebensführung geworden. Auch wenn man ›mit Geld nicht alles kaufen kann‹, lässt sich damit nicht nur der elementare und erweiterte Konsum bestreiten. Wenn das Geld hinreicht, kann man damit ›Investitionen‹ tätigen: in die eigene soziale Sicherung, in die Ausbildung von Kindern und Angehörigen, in die gesundheitliche Versorgung, in einen vorgezogenen Ruhestand, in Immobilien, in den Aufbau von Vermögen oder die eigene Selbstständigkeit. Sicherlich wird ein Teil dieser Möglichkeiten auch durch die Leistungen eines ausgebauten Sozialstaats eröffnet; die eigenen Mittel ermöglichen jedoch weitaus autonomere Entscheidungen.

In hohen oder niedrigen Einkommen drückt sich oft auch eine stärkere oder geringere gesellschaftliche Anerkennung aus. Reiche Menschen werden oft auch als ›erfolg-reich‹ anerkannt; arme Menschen müssen sich demgegenüber für die vermeintliche ›Erfolgs-armut‹ rechtfertigen.

Im Weiteren werden Daten zu Deutschland, aber auch zum europäischen und globalen Kontext dargestellt.

Überblick:

  • Die nationale Perspektive
    > Einkommensverteilung 2020
    > Entwicklung der Einkommensverteilung
    > Aufspreizung von Einkommen
    > Einkommenslage und Schulabschluss
    > Einkommenslage und Geschlecht
    > Einkommenslage und Migration
  • Die europäische Perspektive
  • Die globale Perspektive
  • Die weltökologische Perspektive

Die nationale Perspektive

Es ist gar nicht so einfach, zuverlässige Einkommensinformationen für eine Nationalgesellschaft zu gewinnen; die Probleme der Gewinnung und Aufbereitung solcher Informationen werden an anderer Stelle eingehender behandelt. Einige Probleme sollten jedoch in aller Kürze dargestellt werden.

Einkommensdaten werden meist über die Befragung eines ›repräsentativen‹ Bevölkerungsquerschnitts gewonnen. Dabei werden Haushalte und Einzelpersonen befragt, um die Vielfalt an Einkommensquellen und -transfers bzw. von Abgaben erfassen zu können. Schließlich müssen diese haushaltsbezogenen Informationen vergleichbar gemacht werden. Einem Standard der EU entsprechend werden so typischerweise Nettoäquivalenzeinkommen ermittelt. Sie versuchen darzustellen, welches Einkommen einer einzelnen Person zur Verfügung steht, wenn man berücksichtigt, dass sich die durch die Haushaltsstruktur (z.B. Größe, Zahl der Kinder) bedingten Bedarfe unterscheiden. D.h. die Nettoäquivalenzeinkommen werden einzelnen Personen (auch Jugendlichen und Kindern) zugerechnet, drücken aber immer auch die Einkommen und Abgaben aller anderen Haushaltsmitglieder aus.

Im Folgenden werden relative Einkommen betrachtet. Das erleichtert die Analyse von Veränderungen in der Verteilung, muss aber bei der Interpretation stets beachtet werden. Ein typisches Beispiel ist die Interpretation von relative Armutsquoten. Die Armutsquote steigt, wenn eine größere Anzahl von Menschen unter die relative Armutsgrenze fällt. Das kann entweder daran liegen, dass sich die Einkommenslage einer Gruppe verschlechtert; es kann aber auch darauf zurückgehen, dass sich der Einkommensdurchschnitt erhöht, sich also die Grenze verschoben hat. Das führt zu dem merkwürdigen Effekt, dass gute Lohnabschlüsse aber auch hohe Gewinne einen Anstieg der Armutsquote bewirken können.

Einkommensverteilung 2020

Zunächst soll die Verteilung der Nettoäquivalenzeinkommen in Jahr 2020 betrachtet werden. In der Horizontalen sind die verschiedenen relativen Einkommensklassen abgetragen. In der Vertikalen sieht man, wie stark diese ›Klassen‹ besetzt sind. Die durchgehende Linie ergibt sich, indem man die relative Häufigkeit der Einkommensklassen miteinander verbindet, daher verläuft sie ein wenig ›eckig‹. Das Maximum der schwarzen Linie steht für die Klasse derer, deren relatives Einkommen zwischen 90 und 100% des durchschnittlichen Nettoäquivalenzeinkommens beträgt, diese Gruppe macht 9% der Befragten aus.

Eigene Berechnungen mit Daten des SOEP v37.
Abb. 1
: Verteilung der Nettoäquivalenzeinkommen 2020

Der Verlauf des Graphen macht deutlich, dass die deutliche Mehrheit der Befragten im mittleren Einkommensbereich liegt, so verfügen 60% über ein Einkommen, das zwischen 80 und 200% des Durchschnitts legt. Am linken Rand wird dann aber auch deutlich, dass eine nicht kleine Gruppe mit erheblich weniger als dem Durchschnitt auskommen muss. Im Jahr 2020 fallen fast 17% unter die EU-Armutsgrenze von 60% des Durchschnitts (Median). Auch die Einkommen der darüber liegenden 60-80%-Gruppe (16%) sind noch als prekär zu bezeichnen. D.h. unterhalb der Mitte findet sich etwa ein Drittel der Gesellschaft, deren Einkommen meist nur für ›das Nötigste‹ reichen. Am rechten Rand werden dann auch jene 7% sichtbar, deren Einkommen mehr als 200% des Durchschnitts beträgt, also nach gängiger Definition jenseits der Reichtumsgrenze liegt.

Die zentrale Frage ist nun, wie sich diese jahresbezogenen Daten interpretieren lassen. Unterhalb der Armutsgrenze finden sich viele, für die Armut auch in den vergangenen oder folgenden Jahren ein Problem ist. Hier kann man von Einkommensarmen sprechen. Es gibt aber auch nicht wenige, die die Armutsgrenze nur für einzelne Jahre unterschreiten. Das gilt z.B. für Menschen in der beruflichen Ausbildung oder im Studium, für Menschen nach einer Trennung, für Eingewanderte, die Sprachkurse oder Ausbildungen absolvieren oder für kurzzeitig Arbeitslose. Viele dieser vorübergehend Armen hoffen auf ›bessere Zeiten‹, nicht wenige können das auch erreichen, andere landen aber vielleicht nur in einem prekären Job.

In einem prosperierenden Sozialstaat sollte alles dafür getan werden, das Risiko von Armut zu verringern. Zugleich sollte man jedoch anerkennen, dass eine freie und offene Gesellschaft, die viele Chancen bietet, oft auch mit höheren Armutsquoten zu kämpfen hat. D.h. man könnte vermutlich Armut reduzieren, indem man Migration verringert, Trennungen erschwert und Ausbildungsmöglichkeiten reduziert; das wäre aber nicht länger mit den Errungenschaften von offenen Gesellschaften vereinbar.

In Deutschland wird häufig von einer Polarisierung der Einkommen gesprochen; damit werden Bilder von zwei auseinanderstrebenden Polen (arm und reich bzw. oben und unten) nahegelegt. Aus der Querschnittperspektive deutet nichts auf eine solche Polarisierung hin. Wir haben es mit einer ausgesprochen mitten-orientierte Verteilung zu tun, keine Spur von einem armen und einem reichen Pol. Sicherlich gibt es sehr große Unterschiede zwischen dem unteren und dem oberen Ende der Verteilung, aber es gibt eben auch eine große Palette von Zwischenlagen.

Entwicklung der Einkommensverteilung

Nun sollen die jüngeren Entwicklungen analysiert werden. Um die Unterschiede in der Form der Verteilung beobachten zu können, wurden sehr hohe Einkommen ausgeblendet; während 1990 noch ca. 1% ein Nettoäquivalenzeinkommen von mehr als 300% des Durchschnitts hatte, sind es 2020 schon fast 2%.

Da die Darstellung mit relativen Einkommensdaten arbeitet, ist der durchschnittliche Einkommenszuwachs nicht erkennbar. Der Median der (preisbereinigten) Jahresnettoäquivalenzeinkommen ist seit 1990 von 19.346, über 20.576 und 21.386 auf 24.037€ angestiegen; immerhin ein Anstieg um fast 25%.

Eigene Berechnungen mit Daten des SOEP v37.
Abb. 2
: Verteilung der Nettoäquivalenzeinkommen 1990, 2000, 2010 und 2020

Die Verteilung des Jahres 1990 bezieht sich nur auf Westdeutschland. In den folgenden Jahrzehnten ist dann für die gesamtdeutsche Entwicklung ein gewisser Trend erkennbar. Die Mittengruppen werden ein wenig kleiner, die ärmeren und die reicheren Segmente werden ein wenig größer. Die stärksten Veränderungen finden dabei im armen Segment statt. Das hat aber ganz unterschiedliche Ursachen. Sicherlich ist die Zahl der armen Menschen angestiegen, es gibt deutliche Hinweise auf eine Verfestigung von Armut. Zugleich sind aber auch die Zahl der Studierenden (1,8 Mio. im Jahr 2000 auf 2,9 Mio. im Jahr 2020) oder die Zahl der Geflüchteten angestiegen.

 1990200020102020
unter 60%10,50%10,61%15,10%16,78%
60-80%19,01%17,04%16,81%15,87%
80-200%65,45%66,24%61,24%60,10%
über 200%5,04%6,11%6,84%7,25%
Eigene Berechnungen mit Daten des SOEP v37.
Abb. 3: Entwicklung der Einkommenssegmente

Die hier dargestellte Entwicklung wurde medial zu der These einer ›schrumpfenden Mitte‹ verdichtet. Dazu einige Anmerkungen:
– Die Abgänge aus der Mitte gehen zu gleichen Teilen in höhere wie niedrigere Einkommensgruppen.
– Die hier angesprochene Probleme einer relativen und querschnittlichen Perspektive sind zu beachten.
– Schließlich ist daran zu erinnern, dass sich die Klage über die Sorgen des ›Mittelstands‹ bereits seit dem Ende des 19. Jahrhunderts findet und dass die Mitte eben auch jene soziale Gruppe ist, die medial besonders gut repräsentiert ist.

Relative Einkommensarmut

Um präzisere Aussagen zu treffen, ob Armutsphasen ein eher flüchtiges oder eher stabiles Problem darstellen, wird auf Basis von Panelbefragungen untersucht, ob die Befragten auch in den Vorjahren dem Armutssegment zuzurechnen waren. In der folgenden Tabelle ist z.B. dargestellt, wie viele Armutsphasen die im Jahr 2018 Armen in den 4 Vorjahren durchlaufen haben. 43,8% waren auch in den 4 Vorjahren stets im armen Segment; 15,0% waren in den Vorjahren in 2 Jahren arm; 12,3 waren nur im Jahr 2018 arm und nicht in den 4 Vorjahren.

Anzahl d. Armutsjahre >4 J.3 J.2 J.1 J.0 J.
arm im Jahr 199819,9 %17,8 %17,5 %21,1 %23,7 %
arm im Jahr 200825,2 %20,8 %18,1 %19,1 %16,7 %
arm im Jahr 201843,8 %16,5 %15,0 %12,5 %12,3 %
Eigene Darstellung nach Daten des Datenreport 2021, S. 243
Abb. 4: Entwicklung der Armutsdynamik

Im Zeitvergleich wird deutlich, dass bei einer zunehmend größeren Gruppe eher von verfestigter Armut zu sprechen ist. Auch in anderen Einkommensgruppen spielen Armutsphasen eine Rolle; das kann der folgenden Abbildung entnommen werden.

Einkommensschicht
2018
arm in mind. einem
der  4 Vorjahre
≥ 150%3,1 %
125 bis < 150%3,4 %
100 bis < 125%10,4 %
75 bis < 100%16,1 %
60 bis < 75%39,0 %
≤ 60%87,7 %
Eigene Darstellung nach Daten des Datenreport 2021, S. 243
Abb. 5: Armutsrisiken verschiedener Einkommensgruppen

Bei den wohlhabenderen Gruppen spielen Armutsphasen nur eine geringe Rolle und zumeist kurz. In der Gruppe, deren Einkommen 2018 zwischen 60 und 75% des Durchschnitts lag, sind (auch längere) Armutserfahrungen für fast 40% ein ständiger Begleiter; erst recht gilt dies für die unterste Einkommensgruppe.

Betrachtet man den gesamten Zeitraum von 5 Jahren zwischen 2014 bis 2018, so liegen ca. 62% der Armen 4-5 mal unter der Armutsgrenze; der Anteil derer, die 3-5 mal unter der Armutsgrenze liegen, beträgt 78%. D.h. nur für etwa 22% ist Armut eher eine vorübergehende Episode von maximal 2 Jahren; für 38% von maximal 3 Jahren (bezogen auf den Beobachtungszeitraum).

An den hier dargestellten Beispielen werden recht gut die Möglichkeiten aber auch die Tücken einer einkommensbasierten und querschnittlichen Perspektive deutlich. Die hier betrachteten Nettoäquivalenzeinkommen schwanken weitaus stärker, als man vielleicht mit Blick auf die Entwicklung von Löhnen und Sozialleistungen vermutet. Sie spiegeln eben immer auch die strukturellen Veränderungen der Haushalte wieder, eine Jugendliche verlässt den Haushalt, Kinder werden geboren, aus Kindern werden Jugendliche, ein Partner verliert seine Arbeitsstelle etc. Das alles führt zu nicht unerheblichen Schwankungen der Haushaltseinkommen. Diese Schwankungen sind aber bei einem höheren Niveau weitaus eher verkraftbar, als im unteren Einkommensbereich. Bedeutsam ist vermutlich auch die Frage, wie weit diese Einkommensveränderungen geplant sind oder ob sie, wie ein Arbeitsplatzverlust, eine Trennung oder eine Energiekrise überraschend eintreten.

Aufspreizung der Einkommen

Etwas genauer lässt sich der Frage der Polarisierung nachgehen, wenn man die Entwicklung der Einkommensdezile betrachtet; das erste Dezil steht für die 10% der Bevölkerung am unteren Ende der Einkommensskala; das 10. Dezil steht für die reichsten 10%. In dieser Abbildung lässt sich die Entwicklung der Einkommen seit der Mitte der 1980er Jahre beobachten; bis 1991 beziehen sich die Daten nur auf Westdeutschland. Die Abstände zwischen den Einkommensgruppen vergrößern sich deutlich; man kann mithin von einer Aufspreizung der Einkommen sprechen. Alle Einkommensgruppen gewinnen hinzu, aber im untersten Dezil sind es lediglich 20%, im obersten Dezil fast 70%.

Eigene Berechnungen mit Daten des SOEP v37.
Abb. 6: Entwicklung der Einkommensdezile seit den 1980er Jahren

Auch bei dieser Grafik ist zu beachten, dass hier eine Abfolge von Querschnittsinformationen dargestellt wird. D.h. eine Person, die sich im Jahr 2010 im 4. Dezil befindet, kann (prinzipiell) im folgenden Jahr um ein oder mehrere Dezile auf- oder absteigen. Dieses Problem lässt sich erst mit der Analyse von Längsschnittdaten genauer klären. Man hat aber bereits an den Daten zu Armutsverläufen gesehen, dass sich diese Auf-und Abstiegsrisiken recht unterschiedlich verteilen.

Einkommenslage und Schulabschluss

Im Folgenden wird dargestellt, wie sich die Einkommensverteilung für Absolvent:innen verschiedener Bildungsgänge gestaltet. Dabei wird zwischen unterdurchschnittlichen (fehlender Abschluss, Haupt- und Realschulabschluss), durchschnittlichen (Fachhochschulreife, Abitur, abgeschlossene Lehre oder Berufsfachschule) und überdurchschnittlichen Abschlüssen (Abschluss an Schulen des Gesundheitswesens bzw. öffentlichen Dienstes, Fachhochschulen, Universitäten) unterschieden.

Eigene Berechnungen mit Daten des SOEP v37.
Abb. 7: Einkommensverteilung nach Bildungsschlüssen 2020

Die Verteilungsdarstellung vermittelt zum einen den Eindruck, dass mit den erworbenen oder nicht erworbenen Abschlüssen die weitere (lebenslange) Einkommenslaufbahn in erheblich Maße geprägt wird. So liegt der Median des jährlichen Nettoäquivalenzeinkommens bei den unterdurchschnittlichen Abschlüssen bei ca. 19.320€, bei den durchschnittlichen bei 26.050€ und bei den überdurchschnittlichen bei 36.540€. Zum anderen wird aber auch deutlich, dass auch bei einfachen Abschlüssen eine große Bandbreite von Einkommen erreicht werden kann.

Bei der Interpretation muss beachtet werden,

Es wird eine Gesellschaft erkennbar, in der Bildungsabschlüsse in hohem Maße die weitere soziale Positionierung prägen. Das impliziert ganz unterschiedlichen Chancen, in die ärmeren und reicheren Einkommenssegmente zu gelangen.

unterdurchschn.
Abschluss
durchschn.
Abschluss
überdurchschn.
Abschluss
unter 60%34,0%14,1%7,5%
60-80%23,4%17,7%6,6%
80-200%41,3%63,2%68,8%
über 200%1,3%5,0%17,2%
Eigene Berechnungen mit Daten des SOEP v37.
Abb. 8: Einkommenslage nach Bildungsschlüssen 2020

Das Armutsrisiko von Menschen mit unterdurchschnittlichen Abschlüssen ist doppelt so hoch wie das der Gesamtgesellschaft. Ein durchschnittlicher Abschluss führt nur zu einem leicht verringerten Armutsrisiko, aber auch ein hoher Abschluss ist nicht unbedingt ein Garant für ein Leben ohne Armutsrisiken. Das gilt mit einigen Abstrichen auch für das prekäre Einkommenssegment.

Auf der anderen Seite gelingt es Menschen mit einem mindestens durchschnittlichen Abschluss zu etwa 70 bis 80% die mittleren und besseren Lagen zu erreichen. Das reichste Segment wird in deutlich stärkerem Maße von überdurchschnittlich Ausgebildeten erreicht.

Im Folgenden geht es darum, wie sich die Einkommensverteilung aus der Perspektive verschiedene Personengruppen darstellt.

Einkommenslage und Geschlecht

In der Verteilung der Nettoäquivalenzeinkommen weisen die Graphen der Männer und Frauen zunächst eine ähnliche Gestalt auf, es wird jedoch erkennbar, dass bei den Frauen die linke (ärmere) Flanke ausgeprägter ist, bei den Männern ist es die rechte (wohlhabendere) Flanke.

Eigene Berechnungen mit Daten des SOEP v37.
Abb. 9: Einkommensverteilung von Männern und Frauen 2020

Für die Interpretation ist es wichtig, sich an die Konstruktion der Nettoäquivalenzeinkommen zu erinnern. Sie werden über den Haushalt bestimmt, d.h. wenn Männer bzw. Frauen in gemischtgeschlechtlichen Partnerschaften leben, kommt es zu einem Einkommensausgleich, d.h. in diesen Fällen werden die geschlechtsspezifischen Unterschiede in der Einkommenshöhe und im Erwerbsumfang zum Verschwinden gebracht. D.h. die hier erkennbaren Unterschiede gehen vorwiegend auf Single- bzw. Eineltern-Haushalte zurück. In dem beobachtbaren Lageunterschied spiegeln sich so z.B. die Haushalte von überwiegend weiblichen Alleinerziehenden, von getrenntlebenden bzw. von älteren alleinlebenden Frauen.

Der Median des jährlichen Nettoäquivalenzeinkommens liegt für Männer bei ca. 28.450€ und für Frauen 26.070€; Männer verfügen über ein 9% höheres Nettoäquivalenzeinkommen. D.h. die erheblichen Verdienstunterschiede zwischen Männer und Frauen erscheinen nur zu einem kleinen Teil in den Nettoäquivalenzeinkommen.

Der große haushaltliche Umverteilungseffekt in den gemischtgeschlechtlichen Haushalten trägt zwar zu einer rechnerischen Reduktion von Ungleichheiten bei, dabei wird dann aber angenommen, dass die verfügbaren Einkommen in den Haushalten gleichverteilt werden. Zudem impliziert die starke durchschnittliche Umverteilung, dass Frauen innerhalb der Haushalte eine schlechtere Verhandlungsposition haben und dass sie in weitaus stärkerem Maße vom Fortbestand des Haushalts abhängig sind als ihre männlichen Partner.

Die folgende Tabelle spitzt die bereits in der Verteilung erkennbaren Unterschiede weiter zu. So liegt die Armutsquote bei Frauen um etwa 2,5 Prozentpunkte höher als bei Männern.

männlichweiblich
unter 60%15,5%18,0%
60-80%15,0%16,7%
80-200%61,0%59,2%
über 200%8,4%6,1%
Eigene Berechnungen mit Daten des SOEP v37.
Abb. 10: Einkommenslage von Männern und Frauen 2020

Auch im prekären Segment sind die Frauen stärker vertreten. Dementsprechend sind Frauen dann im mittleren und vor allem im reichen Einkommenssegment deutlich unterrepräsentiert.

Einkommenslage und Migration

Prozesse der Migration beeinflussen die Einkommenslage der Migrierenden und nachwachsender Generationen in vielfältiger Weise. In der Generation der Migrierenden prägen vor allem die soziale Ausgangslage wie die verschiedenen Kontexte der Migration (z.B. Flucht und Arbeitssuche oder Ausbildung und berufliche Karriere) die spätere Einkommensposition. In der nachwachsenden Generation sind es dann neben der sozialen Ausgangslage vor allem die spezifischen Möglichkeiten der schulischen und beruflichen Ausbildung bzw. später des Einstiegs in verschiedene Segmente des Arbeitsmarktes. All diese Überlegungen sind idealtypisch zu verstehen: die Generationenlagen und die Motive der Migrierenden stellen sich weitaus komplexer dar und verändern sich auch immer wieder. Eine wichtige Rolle spielt auch die jeweilige ökonomische und politische Verfasstheit der ›Aufnahmegesellschaft‹; sind es Zeiten des Booms oder der Krise, wie stellen sich die Arbeitsmärkte dar, wie stellen sich Öffentlichkeiten und Institutionen zur Migration. So betrachtet kann das methodische Konstrukt des ›Migrationshintergrundes‹ diese Prozesse nur grob vereinfachend darstellen.

Eigene Berechnungen mit Daten des SOEP v37.
Abb. 11: Migration im Kontext der Einkommensverteilung 2020

Beim Vergleich der Einkommensverteilungen wird deutlich, dass die drei unterschiedenen Gruppen zunächst ganz ähnliche Verteilungen aufweisen: einen Schwerpunkt in den mittleren Lagen, eine weit ausladende rechte (wohlhabende) Flanke und schließlich ein nicht kleines Armutssegment. Zugleich werden neben den Ähnlichkeiten der Gestalt aber auch die deutlichen Lageunterschiede deutlich; d.h. das Maximum der beiden Migrationsgruppen und auch die linke Flanke ist deutlich in Richtung der ärmeren Gruppen verschoben. Dabei fallen die Unterschiede zwischen jenen mit einem direkten und einem indirekten Migrationshintergrund recht gering aus. Die Medianwerte liegen für Migrant:innen mit direkten Migrationserfahrungen bei einem jährlichen Nettoäquivalenzeinkommen von ca. 21.850€; bei einem indirekten Migrationshintergrund sind es ca. 23.000€; Befragte ohne Migrationshintergrund verfügen über ein durchschnittliches Einkommen von 28.700€.

kein Migr.direkter Migr.indirekter Migr.
unter 60%12,8%30,9%29,5%
60-80%14,5%20,7%20,0%
80-200%64,5%44,7%46,0%
über 200%8,2%3,7%4,5%
Eigene Berechnungen mit Daten des SOEP v37.
Abb. 12: Migration im Kontext der Einkommensverteilung 2020

Die bereits in der Graphik erkennbaren Lageunterschiede der Verteilung zeigen sich auch in der Ausprägung der einzelnen Einkommenssegmente. So liegt die Armutsquote, die in der Gesamtbevölkerung bei 16,8% lag, bei den Nicht-Migrant:innen bei ca. 13%, mit einem indirekten bzw. direkten Migrationshintergrund sind es zwischen 30 und 31%. Auch im prekären Einkommenssegment sind die beiden Migrationsgruppen deutlich stärker vertreten. Dementsprechend sind sie in den mittleren und oberen Einkommenslagen deutlich unterrepräsentiert. Immerhin 4 bis 5% gehören aber auch zum reichsten Einkommenssegment.

Diese Verteilung ist insbesondere der Heterogenität der Bevölkerung mit einem Migrationshintergrund geschuldet; auf der einen Seite gehört dazu die Migration von Hochqualifizierten aus EU- oder OECD Ländern, auf der anderen Seite sind es Migrierende, die nur über geringe formale Qualifikationen verfügen, denen oft nur eine Integration in die prekären Segmente des Arbeitsmarkts gelingt.

Die europäische Perspektive

Um soziale Ungleichheiten jenseits des nationalen Horizonts zu analysieren, sollte sich der Blick zunächst auf die Unterschiede zwischen den Nationalstaaten richten. In der folgenden Abbildung sind europäische Länder nach dem durchschnittlichen ökonomischen (preisbereinigtes Bruttoinlandsprodukt pro Kopf) und kulturellen Kapital (Anteil der gering qualifizierten 25-64-Jährigen) verortet. Der Klassifizierung von Blanchet u.a. (2019) folgend werden die Länder dem nördlichen, westlichen, südlichen und östlichen Europa zugerechnet.

Eigene Darstellung mit Daten der Eurostat Datenbank 2020 (*VK: 2019)
Abb. 13: Ökonomisches und kulturelles Kapital in Europa

Die nördlichen (grau) und westlichen (schwarz) Länder bilden in der ökonomischen Perspektive die Spitzengruppe; beim kulturellen Kapital liegen sie oberhalb (in der Graphik links) der Mitte. Die südlichen (rot) Länder zeichnen sich durch ein deutlich niedriges BIP pro Kopf aus. Zudem sind dies die Länder mit den höchsten Anteilen von gering Qualifizierten im Erwerbsalter. Die östlichen (blau) Länder, die historisch dem sowjetischen Einflusssphäre zuzurechnen waren und zumeist am spätesten der EU beigetreten sind, zeichnen sich (im Durchschnitt) durch die geringsten ökonomischen und die höchsten kulturellen Kapitalien (Anteil der gering Qualifizierten) aus. D.h., dass der auf der nationalen Ebene zu findende Zusammenhang von Bildung und Einkommen nicht unbedingt auf die transnationale Ebene übertragen werden kann.

Betrachtet man zudem noch die Ungleichheitsverhältnisse innerhalb der Länder wird deutlich, dass die reicheren Länder auch die Länder sind, in denen die Binnenungleichheiten deutlich stärker begrenzt werden konnten als in den ärmeren Ländern. Zur Bestimmung der Einkommensungleichheit wurde das sogenannte Quintilsverhältnis herangezogen; es wird als Quotient aus den reichsten und den ärmsten 20% berechnet. Der Wert beträgt für die EU-27 wie für den Euroraum 4,9; die reichsten 20% haben demnach ein fast fünfmal so hohes Einkommen wie die ärmsten 20%. In der nördlichen Ländern Europas liegt dieser Wert zwischen 3,21-4,12; in den westlichen Ländern ist die Spanne mit 3,65-5,63 etwas größer. In den südlichen Ländern variiert das Quintilsverhältnis zwischen 4,31 und 5,77; nur die Türkei fällt mit 9,2 aus dem Rahmen. Deutlich höher sind die nationalen Ungleichheitsverhältnisse (bei beträchtlichen Unterschieden) in den östlichen Ländern (3,03-8,01); so liegen die Werte für Tschechien, die Slowakei und Slowenien nur zwischen 3,03 und 3,34.

Diese Daten machen deutlich, in welchem Maße die europäischen Ungleichheitsverhältnisse noch immer durch die mit der Geschichte der Industrialisierung verbundenen Nord-Süd-Unterschiede und die politische Ost-West-Teilung des Kontinents geprägt sind. Das wird insbesondere in der folgenden Darstellung deutlich.

Quelle: Blanchet u.a. (2019, S. 26), Text übersetzt
Abb. 14: Entwicklung der regionalen Einkommensrelationen

In der langfristigen Entwicklung wird erkennbar, in welch geringem Maße sich die Regionalrelation vor und nach dem Zusammenbruch des östlichen Lagers verändert haben. Bei den östlichen Ländern ist zunächst der wirtschaftliche Einbruch deutlich erkennbar; danach setzt eine längere Erholungsphase ein; das Niveau von 1980 wird aber bis 2017 noch nicht überschritten. In den südlichen Ländern kommt es zu einem leichten relativen Abstieg. Das nördliche Europa zeichnet sich gegenüber dem nur wenig veränderten westlichen Europa durch einen deutlichen relativen Aufstieg aus.

In der Entwicklung der Ungleichheitsverhältnisse in den Regionen kann dieser Systembruch von 1990 deutlicher abgelesen werden.

Quelle: Blanchet u.a. (2019, S. 26), Text übersetzt
Abb. 15: Entwicklung der regionalen Einkommensungleichheiten

So ist der Anteil der reichsten 10% in den östlichen Ländern im Kontext des Umbruchs extrem angestiegen. Auch bei den nördlichen Ländern kommt es zu einem Anstieg des noch immer moderaten Ungleichheitsniveaus. Im westlichen Europa steigen die Ungleichheitswerte deutlich stärker an als im südlichen Europa.

In der langfristigen Perspektive wird deutlich, dass sich die nationalen Einkommensniveaus eher träge verhalten; dynamischer entwickeln sich demgegenüber die binnennationalen Ungleichheiten.

Die globale Perspektive

Ein erster Vergleich der Prokopf-Einkommen im Weltmaßstab macht die extremen Unterschiede zwischen den Weltregionen deutlich.

Quelle: Eigene Darstellung nach Daten der World Inequality Database
Abb. 16: Nettonationaleinkommen pro Kopf nach Weltregionen 2021

Die Prokopf-Einkommen in Nordamerika betragen im Jahr 2021 mehr als das Dreifache des Weltdurchschnitts von 17.200 (PPP-€); der europäische Durchschnitt beträgt das Zweifache des Weltniveaus. Knapp über dem Durchschnitt liegen Ost- und Zentralasien sowie die MENA-Region (Mittlerer Osten und Nordafrika)*. Leichte bis erhebliche Unterschreitungen finden sich schließlich in Lateinamerika, Süd- und Süd-Ostasien und im Subsahara-Afrika. Dabei sind die letzten beiden Regionen besonders heterogen; so erreichte Südafrika (2020) 75% und Indonesien 68% des Weltniveaus.

Einkommensentwicklung

Die hier erkennbare Relation der Weltregionen ist historisch betrachtet erstaunlich stabil. Die folgende Datenreihe aus der World Inequality Database reicht bis zum Anfang des 19. Jahrhunderts zurück. Solche Datenzusammenstellungen erfordern ein hohes Maß der Aufbereitung, um sie regional bzw. im Zeitverlauf vergleichbar zu machen, die Verfahren sind für die World Inequality Database gut dokumentiert. Sie sind sicherlich mit nicht unerheblichen Unschärfen behaftet; ein Vergleich mit anderen Datensätzen (z.B. Allen 2015) zeigt jedoch, dass sich die wesentlichen Trends bestätigen.

Die folgende Abbildung gibt die relative Positionierung der verschiedenen Weltregionen in den vergangenen 200 Jahren wieder. Dabei ist zu bedenken, dass sich die absoluten Prokopfeinkommen in diesem Zeitraum fundamental verändert haben. Im Jahr 1820 lag das durchschnittliche Welteinkommen bei 703 (PPP EUR 2020); im Laufe des 19. Jahrhunderts stieg es um etwa 225% und erreichte 1900 einen Wert von 1.589. Am Ende der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wird 1950 ein Wert von 2.569 erreicht; das sind 365% des Basiswerts. 1980 sind es bereits 5.571 (PPP EUR 2020), fast 800% des Ausgangswerts von 1820. Im Jahr 2020 werden schließlich 11.131 erreicht, gegenüber dem Ausgangspunkt ein Anstieg von fast 1600%. Dieses enorme absolute Wachstum gilt es zu berücksichtigen, wenn im weiteren die relativen Positionen verschiedener Regionen untersucht werden.

Eigene Darstellung nach Daten von Chancel, Lucas/ Thomas Piketty 2021a, Tab. 3
Abb. 17: Langfristige Entwicklung der Weltregionen

Nordamerika und Europa haben bereits in der frühen Industrialisierungsphase eine überdurchschnittliche Position und können diese in den folgenden zwei Jahrhunderten weiter ausbauen. Es lässt sich aber auch nach Höhepunkten in den 1950er bzw. 1980er Jahren ein leichter Positionsverlust beobachten. Ein deutlich wechselhafterer Verlauf zeigt sich in Lateinamerika, im Mittleren Osten/ Nordafrika und in Russland/ Zentralasien.

China stellte Mitte des 18. Jahrhunderts fast ein Drittel der Weltproduktion her; damit war jedoch der Höhepunkt der Leistungsfähigkeit der traditionalen Ökonomie erreicht (Osterhammel 1989, S. 40). Der relative Abstiegsprozess ist dann in der Graphik erkennbar; er währt bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts. Dann setzt ein starker Wachstumsprozess in der Region ein, sie erreicht 2020 123% des Weltniveaus; in China sind es immerhin fast 110%.

Schließlich ist auf jene beiden Weltregionen zu verweisen, die zu Beginn des 19. Jahrhunderts noch etwa 60% des Weltniveaus erreichen. In Süd- und Südostasien, darunter vor allem Indien und Indonesien geht das Prokopfeinkommen in den ersten drei Vierteln des 20. Jahrhunderts auf Werte zwischen 20 und 25% des Weltniveaus zurück. Dann setzt jedoch ein relativer Aufholprozess ein; in Indien werden 2020 41%, in Indonesien 68% des Weltniveaus erreicht. Im gesamten Subsahara-Afrika kommt es zu einem stetigen Rückgang der Anteilswerte. 2020 werden im Durchschnitt nur 23% des Weltniveaus erreicht, obwohl ein Land wie Südafrika, das 1950 noch 160% erreicht hatte, 2020 bei immerhin 75% des Weltniveaus liegt.

Einkommensverteilung

Im Folgenden soll für die Weltregionen untersucht werden, wie sich die bislang betrachteten durchschnittlichen Einkommen zwischen verschiedenen Einkommmensgruppen verteilen. Dabei wird betrachtet, welche Einkommensanteile die jeweiligen Dezilgruppen erreichen. Eine Gleichverteilung wäre erreicht, wenn die unteren 50% der Einkommensbeziehenden auch 50% des Gesamteinkommens erhalten würden.

Quelle: Neef/ Chancel (2022, S. 32)
Abb. 18: Einkommensanteile nach Weltregion 2021

Von einer solchen gedachten Gleichverteilung wird in allen Weltregionen erheblich abgewichen. Die Werte für die mittlere der hier betrachteten Gruppen, die mittleren 40% zwischen dem 5. und dem 9. Dezilwert, erreicht in Europa, in Ostasien, in Nordamerika sowie in Russland bzw. Zentralasien Anteilswerte zwischen etwa 40-45%. Auch in den anderen Weltregionen liegt der Wert noch über der 30% Marke. Die großen Unterschiede werden dann in der ärmeren Hälfte der Verteilung (die unteren 50%) und im reichsten Dezil (die obersten 10%) erkennbar. Während die untersten 50% in Europa noch einen Anteil von 18% erreichen, sind es in vielen Ländern nur 12-14%, in Lateinamerika, im Subsahara-Afrika und in den MENA-Ländern sind es sogar nur 8-10%. Dementsprechend steigen die Anteile des reichsten Dezils entlang der Ordnung der Graphik stetig an. In Europa sind es 36%. In Ostasien, Nordamerika und Russland bzw. Zentralasien werden zwischen 45 und 50% erreicht; in den übrigen Ländern liegen die Anteile gar zwischen 54 und 59%.

Betrachtet man nun Einkommenshöhe und die -verteilung im Zusammenhang wird deutlich, dass in den ärmeren Weltregionen (unter 20.000) die Ungleichheit (der Anteil des reichsten Dezils) zumeist oberhalb der 50% Marke liegt; eine gewisse Ausnahme bildet Ostasien, wo der Anteil 45% beträgt. In den beiden reichen Regionen Europa und USA gestalten sich die Verhältnisse unterschiedlich. In Europa bewegt sich bei einem relativ hohen Einkommen der Anteilswert des obersten Dezils bei 36%; in den deutlich reicheren USA sind es jedoch 46%. So betrachtet findet sich in Europa eine weltregional einzigartige Kombination von relativ hohen Einkommen und relativ(!) geringer sozialer Ungleichheit.

Schließlich noch ein Blick auf die langfristigen Veränderungen der weltweiten Ungleichheitsverhältnisse. Dieser Darstellung nimmt eine Weltperspektive ein; es wird dargestellt, welche Anteile bestimmte Weltdezilgruppen am globalen Gesamteinkommen haben.

Quelle: Neef/ Chancel (2022, S. 34)
Abb. 19: Langfristige Entwicklung der globalen Einkommensungleichheit

Ähnlich wie bei der langfristigen Entwicklung der Anteile verschiedener Weltregionen zeigt sich für die mittleren 40% und die oberen 10% ein eher stabiles Bild; die mittlere Gruppe bewegt sich zwischen 30 und 40% des globalen Gesamteinkommens, die obere Gruppe schwankt zumeist zwischen 50 und 60%. Ganz anders sieht die Situation der unteren Hälfte der Weltbevölkerung aus; ihr Anteil geht fast kontinuierlich zurück und hat sich fast halbiert; d.h. mehr als die Hälfte der Menschheit ist von dem oben skizzierten starken Wachstum des Welteinkommens ausgeschlossen.

Diese relative Stabilität der Welteinkommensverteilung sollte jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich unterhalb der globalen Perspektive wichtige Umschichtungen vollziehen. So wird in der Welteinkommensforschung relativ konsensuell davon ausgegangen, dass sich die Einkommensungleichheiten zwischen den Nationalstaaten (unter Beachtung der Bevölkerungsgröße) eher verringern, während die Einkommensungleichheiten innerhalb der Nationalstaaten ansteigen (vgl. dazu Milanović 2016, S. 175ff).

Die weltökologische Perspektive

Man kann eine Analyse der nationalen, europäischen und globalen Einkommensverhältnisse im 21. Jahrhundert nicht für sich stehen lassen. Die bittere Wahrheit ist, dass mit allen Einkommensfortschritten ein stetiger Anstieg des ökologischen Fußabdrucks einhergeht. Der Zusammenhang zwischen der Einkommenshöhe und der Emission von CO2-Äquivalenten ist meist linear. D.h. die oben dargestellte weltregionale Einkommensverteilung lässt sich auch als eine Verteilung von Emission lesen.

Quelle: Neef/ Chancel (2022, S. 36)
Abb. 21: Prokopf-Emissionen für ausgewählte Weltregion 2021

In Nordamerika liegen die durchschnittlichen Prokopf-Emissionen von CO2-Äquivalenten bei 20,8 Tonnen; in Europa sind es 9,7 Tonnen. In Süd- bzw. Südostasien sind es nur 2,6 Tonnen; im Subsahara-Afrika liegt der Wert bei nur 1,7 Tonnen. Innerhalb dieser Regionen finden sich dann aber, wie die Abbildung zeigt, extreme Unterschiede in den Fußabdrücken des reichsten Dezils und der unteren Bevölkerungshälfte. In Europa liegt der Abdruck des reichsten Dezils um das sechsfache über dem der ärmeren Hälfte; in Nordamerika, in Russland bzw. Zentralasien und in Lateinamerika ist es das acht- bis zehnfache. In den MENA-Ländern und der Subsahara-Region ist es fast das fünfzehnfache.

D.h. die soziale Frage (die Fragen der Ungleichheit im nationalen wie im globalen Maßstab) ist in keiner Weise von der ökologischen Frage (hier auf den CO2-Abdruck reduziert) zu trennen.

Anmerkungen

* In einer weniger eurozentrischen Variante wird auch von WANA (Westasien und Nordafrika) oder SWANA (Südwestasien und Nordafrika) gesprochen.

Literatur