Soziale Positionen sind (ökonomisch betrachtet) Positionen, die Personen im Erwerbssystem, im Haushaltszusammenhang oder in sozialstaatlichen Institutionen einnehmen: sie üben einen Beruf aus, sind Hausmann oder Schülerin oder Rentnerin. Mit sozialen Positionen sind große Unterschiede z.B. in Einkommen oder Transferansprüchen, in Belastungen, in der Autonomie, in Beschäftigungsverhältnissen, in der sozialen Anerkennung, in Rechten und Verhandlungsmöglichkeiten verbunden.
Soziale Positionen sind (politisch betrachtet) immer auch durch den jeweiligen nationalstaatlichen Rahmen geprägt: eine Ingenieurin in einem prosperierenden Industrieland ist bei ihrem Einkommen wie ihrer sozialen Absicherung bessergestellt als eine Kollegin in einem wenig industrialisierten Land; eine Arbeitskraft mit der Staatsbürgerschaft des jeweiligen Landes ist besser positioniert als eine Kollegin mit ungesichertem Aufenthaltsstatus.
Soziale Positionen sind historisch in Prozessen der gesellschaftlichen Arbeitsteilung und mit der Herausbildung von National- und Sozialstaaten entstanden. Es sind also Positionen, die aufs engste mit verschiedenen Kapitalismen1) bzw. mit der Entstehung und Entwicklung von Nationalstaaten zusammenhängen.
D.h. soziale Positionen sind in einem
- ökonomischen Sinne zu begreifen, als sie mit der Entwicklung des Kapitalismus und der Entwicklung von Produktionsprozessen zusammenhängen
- politischen Sinne zu begreifen, als sie mit der Entwicklung von Nationalstaaten bzw. einer nationalstaatlichen Ordnung der Welt zusammenhängen
- (engeren) sozialen Sinne zu begreifen, als sie mit der sozialen Organisation von Arbeit und Beschäftigung, mit sozialen Aushandlungsprozessen und mit sozialen Prozessen des othering zusammenhängen.
Im Folgenden soll die Herausbildung sozialer Positionen im Kontext verschiedener Kapitalismen bzw. verschiedener Typen von Nationalstaaten genauer dargestellt werden. Um die Grundtypen von sozialen Positionen prägnant unterscheiden zu können, werden die Nomenklatur Max Webers bzw. einschlägige Erweiterungen genutzt. Der dabei verwendete Klassenbegriff in einem analytischen Sinne zu verstehen.
Soziale Positionen im Kontext verschiedener Kapitalismen
Mit der Herausbildung verschiedener Kapitalismen1) entstehen vereinfacht betrachtet die Positionen von Kapitalbesitzenden und Kapitallosen. Differenziert man entlang von sogenannten Produktionsfaktoren2) sind es dann
- Unternehmer_innen, die vorrangig den Produktionsfaktor Arbeit nutzen
- Investor_innen, bei denen die Anlage von Kapitalien im Vordergrund steht
- Grundeigentümer_innen, die Boden in verschiedener Weise nutzen
- und schließlich die große Gruppe der abhängig Beschäftigten
Diese Positionen entsprechen der Logik der von Weber abgegrenzten Besitzklassen. Die rein ökonomisch abgegrenzten Positionen der abhängig Arbeitenden müssen dann entlang der sozialen und politischen Organisation von Arbeitsprozessen weiter aufgeschlüsselt werden, entlang von
- Markt und Zwang: von der Zwangsarbeit bis zur marktvermittelten Lohnarbeit
- verschiedenen Qualifikationen: von Hochqualifizierten zu Personen ohne Bildungsabschluss
- unterschiedlichen Weisungsbefugnissen und Verantwortlichkeiten: von leitenden zu ausführenden Tätigkeiten
- Sicherheit und Prekarität: von Stammbelegschaften zu prekär Beschäftigten
Diese Positionen entsprechen der Logik der Weberschen Erwerbsklassen. Sowohl die eher ökonomischen wie die eher sozialen Positionierungen sind von politischen Regulierungen (z.B. Sicherung des Privateigentums oder der Funktionsfähigkeit von Märkten), Institutionen (z.B. Bildung, Forschung, soziale Sicherung) und Infrastrukturen (z.B. Verkehr und Kommunikation) der Nationalstaaten abhängig (s.u.).
Soziale Positionen im Kontext verschiedener Nationalstaaten
Die Nationalstaaten, die sich nach und nach als politisch territoriales Ordnungsprinzip durchsetzen, positionieren sich zum einen im Rahmen einer Weltordnung; zum anderen tragen sie zur Entstehung und Abgrenzung von Nationalgesellschaften und ihrer Binnenordnung bei.
Nationalstaaten im Kontext der Weltgesellschaft
Die Nationalstaaten prägen soziale Positionen, indem sie zur Positionierung ihrer Nationalgesellschaften in der Weltgesellschaft beitragen, sich also in einer globalen Ordnung platzieren. Das geschieht auf eher gewaltsamen Wegen durch Kriege, Ausbeutung und Kolonisation anderer Länder, oder auf vermeintlich friedfertigen Wegen über Handelspolitik und Direktinvestitionen etc. Die Früchte dieser globalen Positionierungsanstrengungen der Nationalstaaten ernten zunächst verschiedene Typen von Unternehmen (und deren Beschäftigte); implizit sind es aber auch die Nationalstaaten selbst (z.B. über die Besteuerung) oder deren Bürger, die daran teilhaben: über preiswerte Energie oder Konsumgüter, über die Externalisierung (z.B. von Umweltlasten und Risiken) oder über Reise- und Migrationsmöglichkeiten (z.B. durch Visafreiheit). Lessenich (2019) spricht angesichts der großen Unterschiede zwischen den Nationalstaaten von »weltgesellschaftlichen Klassenverhältnissen« (S. 67) und nutzt den Begriff »Staatsbürgerklassen« (S. 100).
Nationalstaaten als Regulatoren von Nationalgesellschaften
Nationalstaaten etablieren zugleich eine Binnenordnung, indem sie (bzw. subsidiäre Akteure) Institutionen, Infrastrukturen und Regularien bereitstellen, die die sozialen Positionen in einem Land grundlegend beeinflussen bzw. überhaupt erst hervorbringen.
Für die Besitzklassen spielen die Nationalstaaten eine zentrale Rolle, indem sie das Privateigentum schützen und dessen Weitergabe organisieren (Erbrecht, Steuerrecht). Auch für die Erwerbsklassen lassen sich solche Prozesse der Besitzstandswahrung beobachten. Auf der einen Seite entstehen mit dem schulischen und beruflichen Bildungssystem wichtige Instanzen, die den Zugang zu Bildungstiteln breiteren gesellschaftlichen Gruppen öffnen. Umgekehrt finden sich vielerlei Regularien, die dann die Exklusivität (z.B. selektive Anerkennung ausländischer Abschlüsse) und Verwertbarkeit (z.B. beim Zugang zu Berufsfeldern und Berufen) dieser Zertifikate absichern.
Mit dem Ausbau der Gesundheits- und Sozialsysteme werden auf der einen Seite die Erwerbsklassen abgesichert. Auf der anderen Seite können mit den zeitweilig oder dauerhaft Nicht-Erwerbstätigen aber auch neue Klassen entstehen. Im Sinne von Lepsius (1979, S. 179) kann man von Versorgungsklassen sprechen. Er bezieht sich dabei auf Ungleichheiten in der sozialen Absicherung (z.B. angesichts der unterschiedlichen Erwerbsbiografien von Frauen und Männern), in den Altersversorgungssystemen (z.B. über Renten und Pensionen) und im Zugang zu sozialstaatlichen Gütern und Leistungen (z.B. im Bildungssystem oder in der politischen Vertretung).
Wenn man die Regulierung von Lebensgemeinschaften und Familien, den (geduldeten) Mangel an Infrastrukturen zur Vereinbarkeit von Sorge- bzw. Pflegearbeit und Erwerbstätigkeit und die sozialstaatliche Absicherung von Alleinernährermodellen (Ehegattensplitting, ›Mütterrente‹ etc.) im Zusammenhang betrachtet, kann man auch von Hausarbeitsklassen sprechen.
Schließlich entsteht mit der wachsenden Staatsquote in vielen Ländern eine große Gruppe von Erwerbstätigen, die mittelbar oder unmittelbar von den durch den Staat verwalteten bzw. umverteilten Mitteln abhängig sind. Das sind Beschäftigte bei den Gebietskörperschaften, aber auch Beschäftige z.B. bei Wohlfahrtsverbänden oder freien Trägern. Auch wenn der Begriff der Staatsklasse oftmals abwertend verwendet und auf autoritär regierte Länder des globalen Südens bezogen wird, wäre er hier grundsätzlich angemessen, um den Unterschied zu den Marktklassen im Weberschen Sinn deutlich zu machen.
An der Nahtstelle von Binnen- und (globaler) Außenordnung stehen Grenzregime, also die nationalen Politiken der Grenzziehung bzw. des Grenzmanagements (z.B. verschiedene Übertritts- und Aufenthaltsrechte) und Ordnungen, die den Zugang zu einzelnen Rechtsbereichen (Arbeits-, Wahl- Sozialrecht) bzw. zur Vollbürgerschaft regeln. Darüber entsteht eine Vielzahl von sozialen Positionen mit eingeschränkten Aufenthalts-, Arbeits- und Staatsbürgerrechten. Im Sinne des oben eingeführten Begriffs der Staatsbürgerklasse hat man es hier mit feinen Abstufungen im nationalstaatlich organisierten Zugang zu Staatsbürgerschaften zu tun.
Soziale Positionen – Zwischenfazit
In der Zusammenschau der eher ökonomischen und der eher politischen (mit den Nationalstaaten zusammenhängenden) Positionierungen lassen sich folgende Idealtypen ausmachen.
Soziale Positionen .. | |
.. in ökonomischer Perspektive | – Besitzklassen – Erwerbsklassen |
.. in national vergleichender Perspektive | – Staatsbürgerklassen |
.. in binnenstaatlicher Perspektive | – Regulierung von Besitz- und Erwerbsklassen – Versorgungsklassen – Hausarbeitsklassen – Staatsklassen |
Soziale Positionen – Ranking- und Sorting-Prozesse
Soziale Positionen lassen sich zunächst als bloße Hüllen begreifen, als Leerstellen in einem Organigramm oder in einem Sozialgesetz. Diese Hüllen werden dann mit spezifischen Personen besetzt. So betrachtet lassen sich Rankingprozesse und Sortingprozesse unterscheiden.
Soziale Positionen werden im Rahmen von Ranking-Prozessen (z.B. Prozesse der Teilung und Bewertung von Arbeit) gegeneinander abgegrenzt und mit bestimmten Leistungen verknüpft; so entstehen z.B. berufliche Positionen (mit unterschiedlichen Tätigkeitsfeldern, Bezahlungen und Bewertungen), die Position von Arbeitslosen bzw. Positionen in privaten Haushalten (z.B. Hausmänner und -frauen).
Diese Positionen werden dann in Sorting-Prozessen (die Vergabe einer Stelle, die Gewährung einer Sozialleistung oder haushaltliche Aushandlungen zwischen Lebenspartnern) besetzt. Den eigentlichen Sortingprozessen gehen typischerweise Presorting-Prozesse voraus, indem sich Personen (oft über lange Zeiträume) schulisch und beruflich qualifizieren; das impliziert dann auch Self-Sortingprozesse, indem sich Menschen für oder gegen einen Bildungsweg oder eine Stelle entscheiden, oder Ausbildungen abbrechen.
Diese Unterscheidung von Rankingprozesse und Sortingprozesse birgt zunächst viele Chancen der differenzierten Analyse von Positionierungsprozessen. Problematisch wird sie bei Positionen, wo das Ranking eng mit den zu erwartenden Sortingprozessen verknüpft ist, wo also bei der Abgrenzung von Positionen bereits eine bestimmte soziale Gruppe, die diese Positionen einnehmen soll, mitgedacht wird. Das ist z.B. bei der Hausarbeit oder bei prekären Beschäftigungsverhältnissen der Fall. Ein weiteres Problem entsteht, indem soziale Positionen als eine fixe Größe begriffen werden, ohne die unterschiedliche performance der Positionsinhaberinnen zu berücksichtigen. Hier müsste das Konzept (z.B. bei gestaltenden beruflichen Postionen) erweitert werden.
Von sozialen Positionen zu sozialen Lagen
Soziale Positionen beeinflussen in hohem Maße die unterschiedlichen Arbeits- und Lebensbedingungen im Weltzusammenhang bzw. in einer Nationalgesellschaft; sie sind aufs engste mit sozialen Ungleichheiten verknüpft. Ein Problem entsteht,
- wenn man von ökonomischen oder politischen Positionierungen unmittelbar auf soziale Lagen schließt
- wenn man ökonomische und politische Positionierungen nicht in ihren Wechselwirkungen (z.B. durch Regulierungen) begreift
- wenn man die kreativen Praktiken verschiedenster Akteure vernachlässigt, sich in dem je gegebenen Positionssystem einzurichten, Positionen zu kombinieren und für sich zu nutzen. Dazu gehört, wenn hinreichende Ressourcen vorhanden sind, auch die Möglichkeit der Migration.
D.h. soziale Positionen müssen im (temporalen) Kontext von Lebensverläufen (und Generationsverläufen) und im (sozialen) Kontext von Netzwerken (Haushalte, Partnerschaften, Verwandtschaften, lokale Netzwerke) begriffen werden; über diese Kumulierungsprozesse entstehen soziale Lagen.
Auch diese Überlegung kann an Max Weber anknüpfen, wenn dieser von sozialen Klassen spricht: in seiner Definition bezieht er sich auf temporale Kumulierungsprozesse (im Lebensverlauf oder in der Generationenfolge); im Kontext ständischer Lagen verweist er aber auch auf die große Bedeutung von Partnerschaften und Haushalten (Konnubium3) und Kommensalität4)), mithin auf soziale Kumulierungsprozesse.
Dieses Zusammenspiel von sozialen Positionen und sozialen Lagen wird im Rahmen der Praxeologischen Protheorie sozialer Differenzierung eingehender analysiert.
Soziale Positionen – Einordnung des Konzepts
Das Konzept der sozialen Positionen wird in der Sozialstrukturanalyse in breitem Maße genutzt, wenngleich es selten präziser definiert wird. Das hier ausgeführte Verständnis unterscheidet sich von diesem common sense vor allem an drei Punkten. Es arbeitet mit einem erweiterten Verständnis von sozialen Positionen, indem es Positionen in der häuslichen Arbeit und Transferpositionen systematisch einbezieht. Zudem werden soziale Positionen auch als Positionen im Kontext von Nationalstaaten begriffen. Schließlich werden die mit sozialen Positionen verknüpften Ungleichheitsmomente in einem breiteren Sinne begriffen; es geht neben Einkommen um Kapitalien (im Sinne Bourdieus), um Rechte (im Sinne Marshalls), um die Bewertung und Anerkennung von Positionen etc.
In älteren Arbeiten wurde der Begriff der sozialen Position auch im Rahmen von Rollentheorien verwendet.
Anmerkungen
1) Der Begriff Kapitalismen soll auf die verschiedenen Ansätze verweisen, die versuchen, das nicht selten monolithisch verstandene Konzept des Kapitalismus zu kontextualisieren, indem sie dies mit der Entwicklung von Institutionen (liberaler, koordinierter K.), mit verschiedenen Regulierungsmustern (fordistischer, postfordistischer K.), mit verschiedenen Weisen der Organisation politischer Macht (Markt- bzw. Staatsk.), mit verschiedenen Entwicklungsverläufen (nachholender oder postkommunistischer K.) oder mit verschiedenen Technologien (vorindustrieller, industrieller, digitaler K.) in Zusammenhang bringen.
2) Der auf Adam Smith zurückgehende Begriff des Produktionsfaktors wird hier in einem übertragenen Sinne genutzt, um verschiedene mit der Anlage und Verwertung von Kapitalien verbundene Praktiken zu unterscheiden. Das Konzept und die Unterscheidung von Produktionsfaktoren ist umstritten, wie auch die ähnlich gelagerte Unterscheidung verschiedener Phasen des Kapitalismus (z.B. Industriekapitalismus, Handelskapitalismus, Agrarkapitalismus, Finanzkapitalismus).
3) Der Begriff steht für eine Ehegemeinschaft, die auf eine Heirat zurückgeht.
4) Der Begriff steht wörtlich für eine Tischgemeinschaft, mithin ein haushaltliches Zusammenleben.
Literatur
Bourdieu, Pierre 1992: Ökonomisches Kapital, kulturelles Kapital, soziales Kapital, in: ders., Die verborgenen Mechanismen der Macht, Hamburg: VSA, S. 49-75
Lepsius, M. Rainer 1979: Soziale Ungleichheit und Klassenstrukturen in der Bundesrepublik Deutschland, in: Hans-Ulrich Wehler (Hrsg.), Klassen in der europäischen Sozialgeschichte, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, S. 166-209
Lessenich, Stephan 2019: Grenzen der Demokratie. Teilhabe als Verteilungsproblem, Ditzingen: Reclam-Verlag
Marshall, Thomas H. [1950] 2000: Staatsbürgerrechte und soziale Klassen, in: Jürgen Mackert/ Hans-Peter Müller (Hrsg.), Citizenship – Soziologie der Staatsbürgerschaft, Opladen: Westdeutscher Verlag, S. 45-102
Weber, Max 1972 [1922]: Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriß der verstehenden Soziologie, Tübingen: Mohr