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Einkommenserhebungen

Die Erhebung von Einkommen spielt für summarische Aussagen über die Verfasstheit von nationalen, europäischen oder globalen Sozialstrukturen eine zentrale Rolle. Im Folgenden soll auf drei Typen von Problemen hingewiesen werden, die sich stellen, wenn Einkommen über Befragungen ermittelt werden sollen.

Am Ende werden einige Strategien skizziert, mit diesen Problemen umzugehen.

Probleme der Einkommenserhebung

Probleme der Stichprobe

Normalerweise wird in standardisierten Befragungen mit klassischen Zufallsauswahlen gearbeitet. Das funktioniert z.B. in der Wahlforschung zumeist recht gut. Bei der Ermittlung von Einkommen stellt sich die Situation anders dar. Das hängt vor allem damit zusammen, dass solche z.B. telefonisch oder anderweitig durchgeführten Stichproben eher mittenorientiert sind, d.h. Personen am unteren und oberen Rand der sozialen Verteilung, also z.B. besonders arme und besonders reiche, werden zumeist schlechter erfasst als die mittleren Lagen. Auch in der Wahlforschung ist das unschön, aber es geht jeweils nur um eine Stimme. In der Einkommensforschung haben besonders arme und vor allem besonders Reiche jedoch einen erheblichen Einfluss auf die Lage z.B. des arithmetischen Mittels. D.h., wenn Jeff Bezos ›nicht zu Hause‹ ist, um befragt zu werden, kommt etwas ganz anderes heraus, als wenn er angetroffen wird und sich befragen lässt.

Probleme der Befragung und der Befragten

Man stellt sich Befragungen gern als eine ›Messung‹ vor, bei der mit einem ausgefeilten technischen Gerät z.B. die Temperatur eines Gegenstandes ermittelt wird. Befragungen sind aber soziale Situationen. Das wird beim Thema Einkommen besonders deutlich. Dazu einige Beispiele:

  • Menschen lügen bei der Frage nicht unbedingt; aber sie versuchen nicht selten, sich in ein gutes Licht zu rücken, so möchte man vielleicht weniger arm oder reich erscheinen, sondern ganz normal.
  • Menschen ist es aus sehr verschiedenen Gründen unangenehm, über Einkommen zu sprechen. Das führt entweder zur Antwortverweigerung. Es kann aber auch zum Abbruch der Befragung oder zur Nichtteilnahme bei weiteren Wiederholungsbefragungen führen.
  • Die sorgfältige Erhebung von Einkommensinformationen erfordert sehr viele Fragen, das kostet viel Befragungszeit und Geduld bei den Befragten. Diese Zeit fehlt dann für andere Themen.
Probleme der Komplexität von Einkommen

Jenseits der Probleme der Befragung sind Einkommen schlicht eine sehr komplexe Größe, die oftmals auf viele Komponenten des Einnehmens und Abgebens zurückgeht. Oft steht das tatsächliche Einkommen erst im Nachhinein fest, wenn Jahreszahlungen geflossen und Steuern erstattet oder nachgezahlt wurden. Bei Selbstständigen stellen sich zusätzliche Probleme. Zuletzt sei an Gesellschaften erinnert, in denen Subsistenzproduktion und Schattenwirtschaft eine große Rolle spielen; auch in ›Ländern wie Deutschland‹ sind das kaum zu vernachlässigende Faktoren. 

All diese Probleme wurden hier nur kurz skizziert, man könnte damit ganze Bücher füllen. Nun sollen gleichfalls in aller Kürze wichtige Strategien dargelegt werden, wie damit in der Einkommensforschung umgegangen wird.

Strategien der Problembewältigung

Vorab ein Hinweis auf das grundlegende Dilemma wissenschaftlicher empirischer Sozialforschung. Sie muss, obwohl grundsätzlich zur ›Wahrheitsfindung‹ und Exaktheit verpflichtet, mit erheblichen Unschärfen leben. Es gibt zu jedem der oben aufgeworfenen Probleme eine Vielzahl von Vorschlägen, damit umzugehen, aber sie funktionieren immer nur zum Teil und haben Nebenwirkungen. Da es aber um ein so zentrales Thema der Sozialstrukturanalyse geht, kann man sich nicht den wissenschaftlichen und politischen Luxus leisten, mit Hinweis auf die vielen Unschärfen die Arbeit zu verweigern. Man ist zur Pragmatik und zu vielfältigen Kompromissen verdammt.

  • Man setzt gezielte Strategien ein, um den armen und insbesondere den reichen Pol besser zu erfassen, z.B. indem man hier versucht, überproportional solche Personen anzusprechen, in der Hoffnung, dass man am Ende zu einer guten Repräsentation beider Segmente kommt.
  • Man versucht, sich der ›tatsächlichen‹ Höhe der Einkommen anzunähern, indem man summarisch nach der geschätzten Einkommenshöhe fragt und parallel möglichst viele Komponenten abfragt, oder indem man wiederum summarisch nach dem Vorjahreseinkommen nach Steuern fragt.
  • Man arbeitet mit Gewichtungen, um z.B. höhere Quoten der Nichtbeantwortung auszugleichen. Das setzt aber verlässliche Referenzerhebungen voraus. In Deutschland ist das oft der Mikrozensus. Man kann grundsätzlich auch andere Erhebungsquellen zum Vergleich von Befunden heranziehen, wie z.B. die Daten der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung.
  • Man kombiniert Daten aus verschiedenen Befragungen oder anderen Quellen. So wurden z.B. Daten aus Befragungen wie dem Sozioökonomischen Panel (SOEP) mit Daten aus der Steuerstatistik oder der Forbes-Liste von Superreichen ergänzt.

All diese (und weitere) Strategien haben ihre Tücken. Aber es ist eine große gesellschaftliche Errungenschaft, zumindest näherungsweise Aussagen über Einkommensverhältnisse verschiedener sozialer Gruppen und über die Verteilung von Einkommen machen zu können. Zudem kann man sich mit der (gleichfalls unscharfen) Annahme trösten, dass sich die Unschärfen im Zeitverlauf nicht wesentlich verändert haben und so zumindest Trends angemessen erfasst werden können.