
Wohlfahrtsregime
Das auf Gøsta Esping-Andersen zurückgehende Konzept des Wohlfahrtsregimes analysiert, wie im Rahmen von Nationalstaaten durch das Zusammenspiel verschiedener Institutionen (vor allem Staat, Markt und Familie) soziale Sicherungssysteme entstehen. Dabei geht es insbesondere um die Absicherung gegenüber den Risiken des Marktes (wirtschaftliche Krisen, Arbeitslosigkeit) und den Risiken des Lebenslaufs (Erkrankung, Arbeitsunfähigkeit, fortgeschrittenes Alter). Er unterscheidet drei Grundtypen von Wohlfahrtsregimen (liberale, konservative und sozialdemokratische). Das Konzept bietet somit die Möglichkeit, die ausgesprochene Vielfalt und Komplexität von Sozialpolitiken zu verallgemeinern und zu systematisieren; sein ist Ziel es, das Gesamtbild (›the bigger picture‹) zu verstehen (1990, S. 2). Das in den 1980er und 1990er Jahren entstandene Konzept wurde verschiedentlich kritisiert und es wurden Vorschläge zur Erweiterung entwickelt.
- Das Basis-Modell
- Wohlfahrtsregime
- Dimensionen der Differenzierung
- Welten des Wohlfahrtskapitalismus
- Kritiken und Erweiterungen
- Geschlechterdisparitäten
- Stabilität der Wohlfahrtsregime
- Erweiterung der Wohlfahrtsregime
- Wohlfahrtstaat-Regime, informelle Sicherheits- und Unsicherheitssysteme
- Wohlfahrtsregime des globalen Südens
- Anhang
- Literatur
Das Basis-Modell
Zum einen liefert Esping-Andersen eine mehr oder weniger theoretische Fundierung seiner Typologie, indem er verschiedene Dimensionen unterscheidet, entlang derer Wohlfahrtsstaaten unterschiedliche Entwicklungswege genommen haben. Zum anderen erarbeitet er auf dieser Basis eine auch empirisch begründete Unterscheidung verschiedener Welten des Wohlfahrtskapitalismus.
Wohlfahrtsregime
Von einem ›Regime‹ wird gesprochen, weil im Bereich der Wohlfahrt (bzw. allgemeiner der Beziehung von Staat und Wirtschaft) ein Komplex von rechtlichen und organisatorischen Merkmalen (Institutionen, aber auch Wertvorstellungen) entstanden ist, der systematisch miteinander verwoben ist (vgl. 1990, S. 2). An späterer Stelle streicht er heraus, dass es bei der Untersuchung von Wohlfahrtsregimen um das spezifische Zusammenspiel von Staat, Markt und Haushalt in der Wohlfahrtsproduktion gehe (1999, S. 73), weder um Wohlfahrtsstaaten noch um einzelne Sozialpolitiken.
Dimensionen der Differenzierung von Wohlfahrtspolitiken
Zur Charakterisierung der unterschiedlichen Systeme unterscheidet Esping-Andersen den Grad der Dekommodifizierung, der Stratifizierung, der Privatisierung und später auch der Defamiliarisierung von Wohlfahrtspolitiken.
- De-Kommodifizierung (wörtlich: Entmarktlichung): Politiken der Dekommodifizierung zielen darauf, die mit dem Warencharakter der Arbeit verbundenen Risiken zu reduzieren, indem sie für die Standardrisiken (Arbeitslosigkeit, Krankheit und dauerhafte alters- oder gesundheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit) kompensatorische Leistungen anbieten. Damit wird es den Betroffenen (mehr oder weniger) ermöglicht, ihren Lebensunterhalt auch jenseits der Teilnahme am Arbeitsmarkt zu sichern (1990, S. 22).
- Stratifizierung: Dabei geht es um die (auch von T. H. Marshall verfolgte) Frage, wie Sozialpolitiken mit Sozialstrukturen und sozialen Ungleichheiten zusammenhängen. Wenn verschiedene Sozialgruppen (z.B. Beamte oder einzelne Berufsgruppen) eigene Sicherungssysteme haben und wenn Sozialleistungen an Bedingungen (z.B. vorherige Beitragszahlungen) gebunden sind, ist davon auszugehen, dass Sozialleistungen immer auch zu einer Stabilisierung sozialer Ungleichheiten beitragen, wenn z.B. die im Lebensverlauf entstandenen Ungleichheiten im Ruhestand fortgeschrieben werden.
- Privatisierung: Am Beispiel der Alterssicherungssysteme verschiedener Staaten (und ihrer Geschichte) geht es um die Frage, wie weit diese eher von marktlichen oder staatlichen Logiken geprägt sind.
- Defamiliarisierung (ab 1999): Hier wird das Wechselspiel von haushaltlich erbrachten Sozialleistungen mit wohlfahrtsstaatlichen und marktlichen Leistungen analysiert. »De-Familialisierung bedeutet nicht ›familienfeindlich‹, sondern bezieht sich im Gegenteil auf das Ausmaß, in dem die Fürsorge- und Betreuungsverantwortung der Haushalte entweder durch wohlfahrtsstaatliche Maßnahmen oder durch den Markt gelockert wird« (1999, S. 51). Während historisch betrachtet ein Leben außerhalb haushaltlicher Zusammenhänge lange Zeit kaum möglich war, ermöglichen sozialstaatliche aber auch marktliche Leistungen (in prosperierenden Wohlfahrtsstaaten) ein Leben als Alleinstehende oder als Alleinerziehende.
Welten des Wohlfahrtskapitalismus
Für die von ihm untersuchten 18 Nationalstaaten trägt Esping-Andersen entlang der entwickelten Dimensionen Indikatoren zusammen.
- Um den Grad der Dekommodifizierung zu ermitteln, werden Indikatoren zu den Pensionen bzw. den Kranken- und Arbeitslosenversicherungen zusammengefügt (vgl. 1990, S. 54).
- Für den Grad der Stratifizierung werden Indikatoren zu Korporatismus, Etatismus, Sozialhilfe, private Gesundheits- und Altersversorgung, zum Grad der Universalisierung bzw. der Leistungsdifferenzierung genutzt (vgl. 1990, S. 77 f.).
- Bei der Analyse der Privatisierung von Pensionsregimen werden Daten zu Renten und Pension bzw. zu betrieblichen und privaten Versicherungen verwendet.
Auf Basis dieser Analysen liegt die Unterscheidung von drei Wohlfahrtsregimen nahe; hier in der Charakterisierung von 1999.
Liberal | Sozialdemokratisch | Konservativ | |
Rolle von: | |||
– Familie | marginal | marginal | zentral |
– Markt | zentral | marginal | marginal |
– Staat | marginal | zentral | subsidiär |
Wohlfahrtsstaat: | |||
– Vorherrschende Form der Solidarität | einzelne | universal | Verwandtschaft Korporatismus Etatismus |
– Vorherrschender Ort der Solidarität | Markt | Staat | Familie |
– Grad der Dekommodifizierung | Minimal | Maximum | Hoch (für breadwinner) |
Musterbeispiele | USA | Schweden | Deutschland Italien |
In einem zweiten Untersuchungsteil wird mit Hilfe von Korrelationsanalysen der Frage nachgegangen, aus welchen politischen Konstellationen diese Regime hervorgegangen sind. Dabei dienen die Charakteristika der drei Modelle jeweils als abhängige Variable. Als unabhängige Variable fungieren wirtschaftliche (GDP pro Kopf, GDP-Wachstum) und politische (die historische Rolle von Arbeiterorganisationen, von katholischen Organisationen bzw. von neoabsolutistischen und autoritär etatistischen Kräften) Faktoren (vgl. 1990, S. 111 f.).
Schließlich konstatiert Esping Andersen eine »ziemlich klare Entsprechung zwischen wohlfahrtsstaatlichen Regimen und politischen Kräften (…). Die konservativen Stratifizierungsprinzipien werden entscheidend durch die Stärke der katholischen Parteien und die Geschichte des Absolutismus erklärt; die sozialistische Stratifizierung hängt wiederum von einer starken Sozialdemokratie ab. Und schließlich scheinen starke Arbeiterbewegungen eine gute Garantie gegen liberalistische wohlfahrtsstaatliche Stratifizierungen zu sein« (1990, S. 138).
Die der politischen Welt entlehnten Begrifflichkeiten für die verschiedenen Regime beziehen sich (in historischer Perspektive) auf deren Entstehungskontext.
- In den liberalen Wohlfahrtsregimen (Australien, USA, Neuseeland, Kanada, Irland, UK) spielen marktorientierte Lösungen eine zentrale Rolle; demgegenüber sollen die Einflüsse des Staates begrenzt werden. Die soziale Sicherung bezieht sich vor allem auf die Kernrisiken und sie hat einen residualen Charakter. Der individualen Verantwortung wird große Bedeutung zugemessen. Es dominiert ein Fürsorgeprinzip, das an Bedarfsprüfungen gebunden ist.
- Das konservative oder korporatistische Regime (Italien, Frankreich, Deutschland, Österreich, Schweiz, Belgien, Niederlande, aber auch Japan) ist vor allem durch statusdifferenzierte beitragsgebundene Sicherungssysteme (in Deutschland z.B. für Arbeiter, Angestellte, Beamte oder für spezifische Berufsgruppen) und einen ausgeprägten Familialismus (z.B. Subsidiaritätsprinzip) charakterisiert.
- Das skandinavische Regime (Finnland, Dänemark, Norwegen, Schweden) zeichnet sich durch einen ausgeprägten Universalismus aus. Die Sozialleistungen sind vergleichsweise generös und steuerfinanziert. Darüber kann ein hohes Maß an Dekommodifizierung erreicht werden, die insbesondere auf die Leistungen der Sozialversicherung zurückgeht. Hinzu kommt ein großes Angebot an öffentlichen sozialen Dienstleistungen, z.B. im Bereich der Betreuung von Kindern oder zu Pflegenden.
Kritiken und Erweiterungen
Das Konzept Esping-Andersens ist schon in den 1990er Jahren intensiv diskutiert und immer auch kritisiert worden; oft wurde auch auf Unschärfen bei der Einordnung von Ländern verwiesen. Hier sollen vor allem drei grundsätzlichere Kritiken bzw. Erweiterungen hervorgehoben werden.
Geschlechterdisparitäten
Die Kritik aus dem Kontext der Frauen- und Geschlechterforschung zielte auf die vor allem in der ersten Variante unzureichend berücksichtigte Bedeutung von Geschlechterunterschieden (z.B. in der Erwerbsbeteiligung, Entlohnung oder sozialen Sicherung) und von in den privaten Haushalten erbrachten Leistungen. In gebündelter Form wurden diese Kritiken im Kontext der Analyse von internationalen Care-Regimen vorgebracht.
So wurde die Fixierung auf sozio-ökonomische Ungleichheit kritisiert. Es lassen sich verschiedene Ansätze zu einer Erweiterung des Modells unterscheiden. Zum einen geht es um die »Etablierung neuer Typologien mit dem Geschlechterverhältnis als Ausgangspunkt der Analyse wie beispielsweise das ›Familienernährermodell‹, das auf der länderspezifischen Ausformung der Integration von Frauen in den Arbeitsmarkt und in die Familie fußt«. Zum anderen wird die Geschlechterdimension als eigene Dimension der Differenzierung begriffen. »Die Dimension der De-Kommodifizierung (…) wird zunächst um die Dimension der ökonomischen Unabhängigkeit vom (Ehe-)Partner ergänzt. Hinzu kommt die Verknüpfung von De-Kommodifizierung mit Kommodifizierung, d. h. die Frage der Integration in den Arbeitsmarkt als Voraussetzung für die De-Kommodifizierung (…). Weiter wurde das Konzept der De-Familialisierung, d. h. der Übernahme traditionell familiärer Aufgaben durch den Staat und/oder den Markt in sehr unterschiedlichen Ausformungen von Familialismus ausdifferenziert« (Theobald 2019, S. 776).
Stabilität der Wohlfahrtsregime
Hier wurde insbesondere die Frage diskutiert, inwieweit die in vielen Wohlfahrtsstaaten zu beobachtende stärkere Einbeziehung marktlicher Sicherungselemente (z.B. private Versicherungen zur Alters- oder Gesundheitsversorgung) und eine veränderte Erwartungshaltung gegenüber den ›Klienten‹ (in Deutschland z.B. das Prinzip des ›Forderns und Förderns‹) zu einer grundsätzlichen Veränderung der Regimetypen und ihrer Unterscheidbarkeit geführt haben.
Erweiterung der Wohlfahrtsregime
Dabei geht es zum einen um Vorschläge zur Berücksichtigung weiterer Regimetypen im globalen Norden. So wurde z.B. vorgeschlagen, innerhalb des konservativen Typs eine südeuropäische Variante abzugrenzen. Von anderen wurden die nach dem Zusammenbruch des sozialistischen Staatensystems entstehenden neuen Wohlfahrtsstaaten in Osteuropa als Kandidaten für ein neues Modell begriffen.
Zum anderen ging es um eine Erweiterung des weltregionalen Horizonts, indem man z.B. Staaten in Süd- und Ostasien oder allgemeiner Länder des globalen Südens bzw. einzelner Weltregionen (z.B. das mittlere und südliche Amerika) einbezieht. Exemplarisch sollen hier zwei solcher Ansätze charakterisiert werden.
Wohlfahrtstaat-Regime, informelle Sicherheits- und Unsicherheitssysteme
Gough und Wood (2004) machen deutlich, dass sich das Modell Esping-Andersens auf prosperierende kapitalistische Länder bezieht, in denen sich Wohlfahrtsstaaten herausbilden konnten; sie sprechen auch von einer OECD-Welt. Neben solchen Wohlfahrts-Staat-Regimen finden sich aber auch Wohlfahrts-Regime, die sich durch mehr oder weniger Staat bzw. durch mehr oder weniger Sicherheiten auszeichnen. Sie unterscheiden also:
- Wohlfahrtstaat-Regime (im Sinne Esping-Andersens)
- Informelle Sicherheitssysteme
- Unsicherheitssysteme
Im Unterschied zu Esping-Andersen konstatieren sie, dass diese Systeme innerhalb eines Landes durchaus nebeneinander bestehen können. »So können verschiedene Gruppen der Bevölkerung eines Landes unterschiedliche Primärregime erfahren:
- Einige sind erfolgreich in den staatlichen Schutz integriert;
- andere sind auf Gemeinschaft und Familie angewiesen;
- und andere, die eher von formellen oder informellen Mainstream-Arrangements ausgeschlossen sind und auf hochgradig personalisierte politisch-militärische Schutzherren angewiesen sind; bei ihnen herrscht ein Gefühl von ›Un/Sicherheit‹ vor« (2004, S. 5, eig. Übersetzung, Spiegelstriche eingefügt).
In Ergänzung zu der bei Esping-Andersen verwendeten Triade (Markt, Staat, Haushalte) fügen sie zum einen die lokalen Gemeinschaften (communities) als wichtige Akteure hinzu. Zum anderen verweisen sie auf die Bedeutung der internationalen Einbindung: z.B. durch internationale Regierungs- und Nicht-Regierungsorganisationen (Staat), durch transnationales Kapital (Markt) oder durch Haushalte, die Migranten entsenden und Remittances erhalten (Haushalt).
Während es bei Esping-Andersen vor allem um garantierte Rechte geht, verweisen sie ergänzend auf die Bedeutung informeller Arrangements z.B. im Kontext lokaler Gemeinschaften. Schließlich finde sich aber auch die Situation, in der alle formellen und informellen Systeme zusammenbrechen. Zudem können die informellen Arrangements auch in neue Abhängigkeiten, z.B. von einem Patron führen. »Der Patron-Klientelismus bietet eine gewisse soziale Sicherheit, aber um den Preis einer nachteiligen Einbindung (…), die radikalere Reformen und die Vertretung lokaler Interessen innerhalb eines wohlfahrtsstaatlichen Diskurses blockiert« (Wood/ Gough 2006, S. 20 f. preprint). In diesem Sinne sprechen sie auch von De-Klientelisierung als einer zusätzlichen Dimension (Gough/ Wood 2004, S. 7).
Wohlfahrtsregime des globalen Südens
Seekings macht deutlich, dass die bei Esping-Andersen zu findende Fokussierung auf Wohlfahrt unzureichend sei. Er konstatiert demgegenüber, »dass die verschiedenen Welten des Wohlfahrtskapitalismus durch Pakete von Wohlfahrts-, Arbeitsmarkt- und ›Wachstums‹-Politiken gekennzeichnet sind. Diese können funktional ineinandergreifen, wie bei der (…) Wohlfahrts- und Arbeitsmarktpolitik im Norden« (2008, S. 24).
Er unterscheidet verschiedene Ländergruppen, die sich durch spezifische Schwerpunkte der sozialen Sicherung auszeichnen:
- In vielen Ländern des globalen Südens sind die Staaten aber auch die Märkte schwächer und instabiler, sodass Familie und Verwandtschaft eine zentrale Rolle bei der sozialen Sicherung spielen; dies gilt insbesondere für die arme Bevölkerung.
- In anderen Regionen, wie z.B. im südlichen Amerika aber auch in Ostasien, spielen die Staaten aber auch eine wichtige Rolle, insbesondere für die in Erwerbsarbeit eingebundene Bevölkerung.
- In einer dritten Ländergruppe spielt die Eigenversorgung bzw. die Kleinproduktion eine wichtige Rolle; mithin ist die Frage des Landzugangs und der Unterstützung der ländlichen Produktion entscheidend.
Mithin lassen sich die Regime in ihrem Schwerpunkt danach unterscheiden, ob Leistungen eher auf Bürgerrechte oder Zugehörigkeiten, Erwerbsarbeit oder Landbesitz zurückgehen.
»Die Wohlfahrtssysteme im Süden umfassen einen oder mehrere dieser unterschiedlichen agrarischen, erwerbsarbeitsorientierten und pauperistischen Ansätzen« (2008, S. 26).
Agrarian | Workerist | Pauperist | |
Fokus | Bauern | Arbeiter | Arme |
Anreiz | soziale Stabilität | konfliktarme Arbeitsbeziehungen | soziale Stabilität, Wahlerfolge |
Ziel | Entwicklung | Abbau von Einkommensungleichheit | Armutsreduzierung |
Rolle von .. | |||
Familie | zentral | marginal | marginal |
Beschäftigung | marginal | zentral | marginal |
Staat | variiert | variiert | zentral |
Wohlfahrtsstaat: | |||
dominanter Modus der Solidarität | Verwandtschaft | individuell oder korporatistisch (über Beschäftigung) | universal |
dominanter Bereich der Solidarität | Familie | Markt oder Staat | Staat |
Grad der De-Kommodifzierung | variiert | minimal | maximal |
Grad der De-Familiarisierung | niedrig | variiert | mittel bis hoch |
Ausmaß der Einkommensnivellierung | variiert | niedrig | mittel bis hoch |
»Der agrarische Ansatz definiert sich durch die private Bereitstellung von Wohlfahrt, abhängig vom Zugang zu Land und/oder Verwandtschaft, die ihrerseits von einer Reihe von unterstützenden staatlichen Maßnahmen abhängt.
Der erwerbsorientierte Ansatz zeichnet sich durch Formen der Risikobündelung und/oder des Sparens aus (wie z. B. Altersrenten), die von einer formellen Beschäftigung abhängen. Workerist-Ansätze gibt es entweder in einer marktbasierten Version (durch Vorsorgefonds, wie in Singapur, oder durch arbeitgeberbasierte Systeme, wie in weiten Teilen Ostasiens bis vor kurzem) oder in einer eher staatsorientierten Form der Sozialversicherung.
Der pauperistische Ansatz schließlich zeichnet sich durch die Anerkennung des Rechts einiger Bürger auf Einkommenssicherheit aus, insbesondere durch beitragsunabhängige Sozialhilfe« (2008, S. 26).
Summarisch wird dann von einem agrarischen, einem erwerbsarbeitsorientierten oder einem armutsorientierten Wohlfahrtssystem gesprochen.
Anhang
De-Kommodifizierung
Hier werden entlang der Gruppierung der zusammengeführten Indikatoren drei Gruppen von Ländern erkennbar. Esping-Andersen bezeichnet sie als angelsächsische ›neue‹ Nationen, als kontinentaleuropäische und als skandinavische Länder. Es wird aber auch deutlich, dass einige Länder (*) nicht in diese Ordnung passen.
De-Kommodifizierungs-Score:
angelsächsische, ›neue‹ Nationen | ||
Australien | 13.0 | |
USA | 13.8 | |
Neuseeland | 17.1 | |
Kanada | 22.0 | |
Irland | 23.3 | |
UK | 23.4 | |
kontinentaleuropäische Länder | ||
Italien | 24.1 | |
Japan | 27.1 | |
Frankreich | 27.5 | |
Deutschland | 27.7 | |
Finnland* | 29.2 | |
Schweiz | 29.8 | |
skandinavische Länder | ||
Österreich* | 31.1 | |
Belgien* | 32.4 | |
Niederlande* | 32.4 | |
Dänemark | 38.1 | |
Norwegen | 38.3 | |
Schweden | 39.1 | |
Mean | 27.2 | |
S.D. | 7.7 |
Stratifizierung
Auch hier werden in jeder Spalte Ländergruppen erkennbar. Esping-Andersen verweist auf die erkennbaren Cluster gibt. »Die Länder, die auf unserem zusammenfassenden Index des Konservatismus hoch abschneiden (Italien, Deutschland, Österreich, Frankreich und Belgien), erzielen alle niedrige oder bestenfalls mittlere Werte auf unseren Indizes des Liberalismus und Sozialismus. Die Länder, die sich durch einen starken Liberalismus auszeichnen (Australien, Kanada, Japan, die Schweiz und die Vereinigten Staaten), erreichen wiederum niedrige oder mittlere Werte für Konservatismus und Sozialismus. Zum Sozialismus-Cluster schließlich gehören die skandinavischen Länder und die Niederlande, die alle bei den beiden anderen Regime-Clustern niedrige (oder mittlere) Werte aufweisen« (1990, S. 76).
Stratifikations-Score: Kumulierte Indexwerte in den verschiedenen Dimensionen
Grad des Konservatismus | Grad des Liberalismus | Grad des Sozialismus | ||||
Stark | Österreich | -8 | Australien | -10 | Dänemark | -8 |
Belgien | -8 | Kanada | -12 | Finnland | -6 | |
Frankreich | -8 | Japan | -10 | Niederlande | -6 | |
Deutschland | -8 | Schweiz | -12 | Norwegen | -8 | |
Italien | -8 | USA | -12 | Schweden | -8 | |
Mittel | Finnland | -6 | Dänemark | -6 | Australien | -4 |
Irland | -4 | Frankreich | -8 | Belgien | -4 | |
Japan | -4 | Deutschland | -6 | Kanada | -4 | |
Niederlande | -4 | Italien | -6 | Deutschland | -4 | |
Norwegen | -4 | Niederlande | -8 | Neuseeland | -4 | |
UK | -6 | Schweiz | -4 | |||
UK | -4 | |||||
Niedrig | Australien | 0 | Österreich | -4 | Österreich | -2 |
Kanada | -2 | Belgien | -4 | Frankreich | -2 | |
Dänemark | -2 | Finnland | -4 | Irland | -2 | |
Neuseeland | -2 | Irland | -2 | Italien | 0 | |
Schweden | 0 | Neuseeland | -2 | Japan | -2 | |
Schweiz | 0 | Norwegen | 0 | USA | 0 | |
UK | 0 | Schweden | 0 | |||
USA | 0 |
Die typische Verortung der Länder bei Dekommodifizierung und Stratifizierung weist große Ähnlichkeiten auf. So zeigt sich, »dass in den skandinavischen, sozialdemokratisch geprägten Wohlfahrtsstaaten eine hohe Dekommodifizierung und ein starker Universalismus zusammenfallen. In den angelsächsischen Ländern gibt es eine ebenso deutliche Übereinstimmung von geringer Dekommodifizierung und starkem individualistischen Selbstvertrauen. Die kontinentaleuropäischen Länder schließlich liegen in ihrer korporatistischen und etatistischen Ausrichtung eng beieinander und weisen ebenfalls eine recht bescheidene Dekommodifizierung auf« (1990, S. 77).
Privatisierung
In dieser Dimension wird die Verteilung entlang von Renten und Pension bzw. von betrieblichen und privaten Versicherungen untersucht.
Renten und Pension
Renten (Sozialversicherung) | Pensionen (öffentl. Dienst) | Betriebliche Altersversorgung | Private Versicherungen | |
Australien | 59,4 | 10,9 | 20,3 | 9,4 |
Österreich | 67,8 | 29,8 | 0,8 | 2,3 |
Belgien | 60,2 | 32,3 | 4,3 | 3,3 |
Kanada | 58,0 | 4,0 | 12,0 | 26,0 |
Dänemark | 70,5 | 12,7 | 7,5 | 9,2 |
Finnland | 69,3 | 27,4 | 1,1 | 2,2 |
Frankreich | 67,5 | 25,2 | 2,4 | 4,9 |
Deutschland | 70,4 | 18,6 | 4,2 | 6,8 |
Irland | 54,8 | 35,5 | 1,6 | 8,1 |
Italien | 71,6 | 26,0 | 1,2 | 1,2 |
Japan | 54,4 | 22,8 | 11,4 | 11,4 |
Niederlande | 69,4 | 18,1 | 8,0 | 4,5 |
Neuseeland | 87,9 | 8,2 | 3,8 | 0,1 |
Norwegen | 82,0 | 10,4 | 1,2 | 6,4 |
Schweden | 85,5 | 8,8 | 4,4 | 1,3 |
Schweiz | 71,1 | 9,3 | 13,7 | 5,9 |
UK | 67,3 | 21,1 | 10,5 | 1,1 |
USA | 60,9 | 18,3 | 17,1 | 3,7 |
»1. Korporative, staatlich dominierte Versicherungssysteme, in denen der Status ein Schlüsselelement in der Struktur der Rentenprogramme ist. In diesem System ist der private Markt im Allgemeinen marginal, und die sozialen Sicherungssysteme neigen dazu, stark beruflich segregiert zu sein, mit besonders ausgeprägte Beamtenprivilegien: Österreich, Belgien, Deutschland, Italien und Japan, möglicherweise unter Einbeziehung von Finnland
2. Residualistische Systeme, in denen sich der Markt auf Kosten der sozialen Sicherheit oder des Beamtenprivilegs oder beider durchsetzt: Australien, Kanada, die Schweiz und die Vereinigten Staaten.
3. Universalistische, staatlich dominierte Systeme, in denen die Bevölkerung umfassende soziale Rechte hat, die sowohl Statusprivilegien als auch Märkte zurückdrängen: Neuseeland, Norwegen, Schweden, möglicherweise auch Dänemark und die Niederlande« (1990, S. 85 ff.)
Literatur
Esping-Andersen, Gøsta 1990: The Three Worlds of Welfare Capitalism, Princeton, NJ: Princeton University Press
Esping-Andersen, Gøsta 1999: Social Foundations of Postindustrial Economies, Oxford: University Press
Esping-Andersen, Gøsta 2009: The Incomplete Revolution. Adapting to Women´s New Roles, Cambridge: Polity Press
Gough, Ian/ Geof Wood 2004: Insecurity and Welfare Regimes in Asia, Africa and Latin America. Social Policy in Development Contexts, Cambridge: Cambridge University Press
Mahon Rianne 2018: Rethinking Welfare Regimes. Challenges from the South, CSSR Working Paper No. 418 July 2018, University of Capetown, Centre For Social Science Research
Seekings, Jeremy 2008: Welfare Regimes and Redistribution in the South, in: Ian Shapiro/ Peter A. Swenson/ Daniela Donno (Hrsg.), Divide and Deal. The Politics of Distribution in Democracies, New York, London: New York University Press, S. 19-42
Theobald, Hildegard 2019: Care. Ansätze und Perspektiven der international vergleichenden Geschlechterforschung, in: Beate Kortendiek et al. (Hrsg.) Handbuch interdisziplinäre Geschlechterforschung, Wiesbaden: Springer, S. 773-782
Wehr, Ingrid 2009: Esping-Andersen travels South. Einige kritische Anmerkungen zur vergleichenden Wohlfahrtsregimeforschung, Peripherie Nr. 114/115, 29. Jg. 2009, Münster: Verlag Westfälisches Dampfboot, S. 168-193
Wood, Geof/ Gough, Ian 2006: A comparative welfare regime approach to global social policy, in: World Development, 34 (10), S. 1696-1712