
Vermögensklassen bei Adkins Cooper Konings
Die von Adkins, Cooper und Konings vorgeschlagene Unterscheidung verschiedener Vermögensklassen geht auf die These zurück, dass angesichts der rasant gestiegenen Immobilienpreise die soziale Ungleichheit in Ländern des angloamerikanischen Kapitalismus stärker durch Vermögensunterschiede als durch die Positionierung im Erwerbssystem geprägt sei. »Das Schlüsselelement, das Ungleichheit prägt, ist inzwischen nicht mehr die Arbeitsbeziehung, sondern vielmehr, ob jemand in der Lage ist, Assets zu erwerben, deren Wertzuwachs die Preis- und Lohnentwicklung übertrifft« (2024, S. 17).
Überblick:
- Begründung des Modells
- Erläuterung des Modells
- Historischer Kontext
- Kommentar
- Literatur
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Begründung des Modells
Die Autor:innen grenzen sich zum einen gegen Ansätze wie den Thomas Piketty´s ab, der Vermögensungleichheiten eher als eine Überformung der im Erwerbssystem angelegten Ungleichheiten begreift; demgegenüber gehen sie von einer gänzlich neuen Ungleichheitskonstellation aus.
Zum anderen widersprechen sie Ansätzen, die den Bedeutungszuwachs von Ungleichheiten des Vermögens als eine Rückkehr in das 19. Jahrhundert der Rentiers, mithin als eine Refeudalisierung, begreifen. Die neue Situation sei vielmehr dadurch geprägt, dass sich das Wohneigentum vermehrt habe und dass es darüber hinaus zu einem »Wachstum des Vermögensbesitzes quer durch zahlreiche Bevölkerungsschichten« (S. 47) gekommen sei. Eine Fokussierung allein auf die Reichsten, gehe daran vorbei, »dass weite Teile der Bevölkerung in die Asset-Ökonomie eingebunden sind, dass die Vermögenspreisinflation ein seit Langem vorangetriebenes politisches Projekt ist und dass es auch innerhalb der Bevölkerung der Asset-Holders Klassenunterschiede gibt« (S. 93 f.).
Die wachsende Bedeutung von Vermögen und ihre breitere soziale Streuung habe schließlich auch zu einer Veränderung der Haushalte beigetragen. »Den gegenwärtigen Haushalt als einen minskyianischen [der Begriff bezieht sich auf den heterodoxen Ökonom Hyman Minsky C.W.] zu bezeichnen, heißt, darauf zu verweisen, dass er in der Asset-Ökonomie nicht mehr hauptsächlich als eine Subsistenz- oder Konsumeinheit, sondern zunehmend als eine Bilanzeinheit mit Vermögenswerten und Verbindlichkeiten existiert, die bewirtschaftet werden müssen. Dies spiegelt sich in der besonderen Form finanzieller Belastungen wider, der Haushalte der Mittelschicht heute ausgesetzt sind. Dabei geht es in zunehmendem Maß nicht mehr nur um den Zugang zu Dingen des täglichen Bedarfs (auch wenn dies noch der Fall sein kann), sondern auch um den Druck, Bilanzrisiken und Probleme zu bewältigen, die sich aus einer allmählichen Vermögensbildung ergeben. Angesichts der Instabilität der finanzialisierten Ökonomie muss die Haushaltsbilanz ständig neu ausgeglichen werden« (S. 34 f.)
Erläuterung des Modells
Vor diesem Hintergrund schlagen Admins, Cooper und Konings »ein Klassenschema vor, das den marxistischen und weberianischen Schemata entspricht, aber Asset-Besitz als den entscheidenden Verteiler und Treiber der Lebenschancen identifiziert. (…) Entwickelt wurde es mit besonderem Bezug zum australischen Kontext, von dem es einige institutionelle Besonderheiten widerspiegelt. Angesichts der gemeinsamen Entwicklungswege quer durch die anglokapitalistischen Gesellschaften hat es jedoch bis weit über die Spezifika des Falls Australien hinaus Bedeutung und kann als Idealtypus gelten« (S. 94).

In dem Modell werden zunächst drei große Gruppen unterschieden: jene mit (2 und 3) und ohne (4 und 5) Immobilieneigentum und schließlich Investor:innen (1), bei denen das Immobilieneigentum als Objekt der Gewinnerzielung und der Spekulation dient. Diese Gruppen werden dann über ihre Einkommensquellen, ihre Verbindlichkeit und ihre Anlagestrategien weiter aufgeschlüsselt.
Über die Spezifizierung der verschiedenen Asset-Klassen werden so zumindest einige grundlegende Unterscheidungen aus der Erwerbswelt in das Modell einbezogen. »Wir behaupten nicht, Einkommen aus Arbeit seien unwichtig geworden: (…) Tatsächlich kann das Erwerbseinkommen für Menschen ohne Assets als eine – allerdings immer prekärer werdende – Lebensgrundlage dienen. Der Punkt ist vielmehr, dass ein Einkommen aus Beschäftigung an sich immer seltener ein Tor zu einem Lebensstil der Mittelschicht darstellt und zunehmend als wichtige Determinante für die Fähigkeit fungiert, an der Logik der Asset-Ökonomie teilzuhaben. Mit anderen Worten: Unser vermögensbasiertes Klassenschema umreißt eine Logik, in der (…) andere Quellen von Ungleichheit zunehmend in der Logik der Asset-Ökonomie aufgehen und durch sie neutralisiert werden« (S. 97).
Historischer Kontext
Adkins u.a. begreifen die neue Konstellation vor dem Hintergrund der historischen Entwicklung der Jahrzehnte nach dem Zweiten Weltkrieg. Der »rasante Vermögenszuwachs an oberster Spitze in einer demokratischen Gesellschaft« sei »als Teil einer umfassenderen, eher strukturellen Neukonfiguration von Ungleichheitsmustern« zu begreifen. Dabei habe »die Massendemokratie als ein zentraler Treiber gewirkt, der zu den politischen Ausgleichsmaßnahmen des New Deal und des Nachkriegsstaates führte. Die ›Rentiers-Funktion‹ hat sich inzwischen in erheblichem Ausmaß im sozialen Leben als Ganzes eingebürgert« (S. 16).
In den 1970er Jahren ist zu beobachten, dass die Vermögenspreise recht stabil sind, während die Einkommen wachsen und die Inflation recht hohe Werte annimmt. Die Konstellation ermöglichte die Finanzierung von Immobilien auch in mittleren sozialen Lagen.
»Diese Kombination aus steigenden Arbeitseinkommen und sinkenden Vermögenspreisen kehrte sich im Verlauf der nachfolgenden Jahrzehnte um« (S. 21). Dabei spielte die im Kontext der neoliberalen Wende verfolgte Geld- und Steuerpolitik und die Begrenzung der öffentlichen Ausgaben eine zentrale Rolle. »Die neoliberale Geldpolitik hatte insgesamt den Effekt, dass sie das Verhältnis zwischen Lohn- und Vermögenspreisinflation, das in der Nachkriegszeit und bis in die 1970er Jahre vorgeherrscht hatte, auf den Kopf stellte. Seit den 1980er Jahren hielt die Lohnentwicklung nur mühsam mit der niedrigen Verbraucherpreisinflation Schritt, während die Kapitalanlagen im Besitz der reichsten Haushalte rasant an Wert zulegten« (S. 68).
Im Kontext des Dritten Weges (z.B. New Labour in Großbritannien bzw. New Democrats in den USA) entstand die Idee, Kapitalerträge zu demokratisieren, indem man sie breiteren Bevölkerungsgruppen zugänglich macht. So sollte der Aktienbesitz breiter verteilt und Wohneigentum gefördert werden. Im Sinne der Humankapitaltheorie sollten Menschen auch ihre Fähigkeiten und Talente in Kapitalerträge umwandeln. »In den 1990er Jahren gingen die Politikberatenden des Dritten Wegs mit dem Versprechen der demokratisierten Kapitalerträge einen weiteren Schritt mit dem Vorschlag, auch Sozialleistungsempfänger*innen einen sozialen Aufstieg zu ermöglichen, wenn man ihnen beibringen könne, Assets zu erwerben und zu bewirtschaften« (S. 71).
Während sich die Humankapitalinvestitionen angesichts der Sparpolitik in den öffentlichen Haushalten kaum auszahlten, kam dem Wohneigentum eine umso größere Bedeutung zu. »So war es das private Wohneigentum, das der Regierung die Möglichkeit gab, die weitreichendsten Versprechungen einer Demokratisierung des Asset-Besitzes auszugeben, weil Wohnimmobilien der Vermögenswert sind, der in einem großen Segment der Bevölkerung am stärksten verbreitet ist« (S. 79).
In Folge dieser Politik stiegen die Immobilienpreise stark an. Während jedoch die Inflation der Verbraucherpreise von den Notenbanken genau beobachtet und reguliert wird, stellt man der Inflation der Immobilienpreise nichts in den Weg, eher umgekehrt: »Solange die Regierung den Vorteil dieses Kreditbooms nutzte, um die Einkommensschwachen zur Investition in Wohnraum zu animieren, wurden steigende Immobilienpreise zu einem wohltätigen Selbstläufer, bei dem diese als stetig wachsende Sicherheiten dienten, um weitere Kredite aufzunehmen« (S. 78). Diese Blase platzte schließlich mit der Subprime-Krise, die am Anfang der globalen Finanzkrise 2007/08 stand.
Dennoch setzt sich der Anstieg der Immobilienpreise weiter fort; auch getrieben durch die Niedrigzinspolitik vieler Notenbanken. Die sozialen Folgen sind vielerorts gravierend. »Der sprunghafte Anstieg der Immobilienpreise in Großstädten rund um die Welt hat tiefe Gräben der Ungleichheit zwischen Klassen von Menschen aufgerissen, die zwar gleich viel verdienen, sich aber dadurch unterscheiden, dass sie in Eigentum oder zur Miete wohnen« (S. 82).
Kommentar
Die jüngere wirtschafts- und sozialgeschichtliche Entwicklung in angloamerikanischen Ländern wird mit der Argumentation recht gut eingefangen. Nicht zuletzt die Subprime-Krise, die am Anfang der globalen Finanzkrise 2007/2008 stand, hat die Probleme einer solchen ›Sozialpolitik‹ mit finanzkapitalistischen Instrumenten an den Tag gebracht. Das von Adkins, Cooper und Konings entwickelte Klassenmodell mag die soziale Konstellation in größeren Städten im angloamerikanischen Raum angemessen wiedergeben.
Auch die verallgemeinernde Argumentation, dass soziale Ungleichheiten neben der Positionierung im Erwerbssystem in wachsendem Maße durch Vermögensunterschiede geprägt sind, ist nicht unplausibel. Für eine Analyse bzw. sozialstrukturelle Modellierung dieser neuen Konstellation bringt der von Adkins, Cooper und Konings entwickelte Vorschlag jedoch nicht besonders viel; die Fokussierung auf Immobilienvermögen und städtische Räume greift einfach zu kurz. Eine detailliertere Kritik findet sich bei Ruonavaara (2025).
Einige Gedanken zu einer erweiterten Analyse dieser neuen Konstellation:
- Es ist unumgänglich, die klassischen Ungleichheiten des Erwerbssystems und vor allem die strukturellen Ungleichheiten von entwickelten, finanzialisierten und digitalisierten Kapitalismen einzubeziehen.
- Es ist erforderlich, die verschiedenen Wohlfahrtstaatmodelle zu berücksichtigen. So stellt sich die herausgehobene Rolle von Wohneigentum, kapitalmarktgestützten Systemen der sozialen Sicherung oder von Konsumentenkrediten in nicht angloamerikanischen Wohlfahrtsstaaten anders dar, auch wenn manche Tendenzen hier ganz ähnlich zu beobachten sind.
- Schließlich ist es geboten, die Rolle der privaten Haushalte genauer zu beobachten. Diese reagieren z.B. auf die Inflation der Immobilienpreise in städtischen Räumen und passen ihre Lebens- und Erwerbsmodelle an: z.B. indem sie an den urbanen Rand oder in den ländlichen Raum ausweichen, was dann wiederum hohe Mobilitätsbedarfe und -kosten mit sich bringt. Zudem kann man auch von Finanzialisierungsprozessen in privaten Haushalten sprechen (Adkins 2019, Pellandini-Simányi 2021, Sawyer 2022), wenn diese gefordert sind, z.B. bei der Ausbildung, bei der Gesundheits- und Altersversorgung, beim Erwerb von Immobilien oder bei der Geldanlage kaum überschaubare Wetten auf die (eigene bzw. die gesellschaftliche) Zukunft abzuschließen.
Literatur
Adkins, Lisa/ Melinda Cooper/ Martijn Konings 2024: Die Asset-Ökonomie. Eigentum und die neue Logik der Ungleichheit, Hamburg: Hamburger Edition
Adkins, Lisa 2019: Social Reproduction in the Neoliberal Era. Payments, Leverage, and the Minskian Household, in: Polygraph Journal, 27, S. 19–33
Burrows, Roger 2025: Asset classes? Some reflections on the ‘new class realities’ of rentier capitalism, in: Thesis Eleven
Christophers, Brett 2021: Class, Assets and Work in Rentier Capitalism, in: Historical Materialism, 29, 2, S. 3–28
Pellandini-Simányi, Léna 2021: The Financialization of Everyday Life, in: Christian Borch/ Robert Wosnitzer (Hrsg.), The Routledge Handbook of Critical Finance Studies, New York, London: Routledge, S. 278-299
Sawyer, Malcolm C. 2022: Financialization. Economic and social impacts, Newcastle upon Tyne: Agenda Publishing
Ruonavaara, Hannu 2025: An idea that refuses to die. Rise, fall and resurgence of ›housing class‹, Housing Studies, 40, 11, S. 2507-2527 [https://doi.org/10.1080/02673037.2024.2409320]
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Überblick:
Zentrale Konzepte:
- Eigentum
- Vermögen
- Bedeutung von Eigentum und Vermögen für Sozialstrukturanalyse
Empirische Analysen:
- Vermögensungleichheiten in Deutschland
- Klassifizierung von Vermögensgruppen:
- Vermögensklassen nach Lauterbach u.a.