
Varieties of Capitalism
Das auf Peter A. Hall und David Soskice (2001) zurückgehende Konzept (›Varieties of Capitalism‹) wurde zu Beginn der 1990er Jahre vorgestellt; es analysiert die Institutionen, die die Ökonomie strukturieren und fragt nach ihrem Zusammenspiel. Das Konzept wurde in den folgenden Jahrzehnten vielfach rezipiert; oft fungierte die Rede von den Varieties of Capitalism aber auch als eine Chiffre, um auf die Bedeutung von Institutionen für die Analyse von Kapitalismen herauszustreichen.
Ansatz von Hall und Soskice
Ausgehend von verschiedenen Koordinationsmodi zwischen den am Wirtschaftsgeschehen beteiligten Akteuren bzw. Institutionen unterscheiden sie liberale Marktwirtschaften (USA, Großbritannien, Kanada, Irland, Neuseeland und Australien) und koordinierte Marktwirtschaften (Deutschland, Japan, Südkorea und viele nordeuropäische Wirtschaften). Die Analyse setzt »institutionelle Unterschiede zwischen politischen Ökonomien auf der Makroebene in Zusammenhang mit Unterschieden in den Strategien und Produktionsregimen, die Unternehmen auf der Mikroebene verfolgen. Unterschiede zwischen politischen Ökonomien setzt sie in Beziehung zu betrieblichen Praktiken« (Hall 2006, S. 184).
In der folgenden Abbildung werden ausgehend vom Unternehmen wichtige Institutionensysteme benannt, die dazu beitragen, dass sich z. B. nationalstaatliche und historische Variationen des Kapitalismus herausbilden.
Einbettung von Unternehmen in verschiedenen Sphären der Koordination
Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Hall/ Soskice (2001, S. 28)
Im Folgenden werden diese Institutionen am Beispiel des liberalen Kapitalismus skizziert:
- Im Bereich der Unternehmensfinanzierung dominiert eine Börsenorientierung (shareholdervalue); die Unternehmen weisen eine hohe Transparenz auf. Es gibt weitreichende Möglichkeiten der Fusion aber auch der (feindlichen) Übernahme von Unternehmen.
- Die industriellen Beziehungen sind weitgehend dereguliert; es gibt nur geringe Mitbestimmungsmöglichkeiten. Sowohl der gewerkschaftliche Organisationsgrad wie auch der Grad der Zentralisierung von Verhandlungen sind gering. Die Beziehung zwischen Unternehmen und Beschäftigten sind durch eine Politik des hire and fire charakterisiert; dementsprechend ist die Loyalität der Beschäftigten gering.
- Das Ausbildungssystem zeichnet sich dadurch aus, dass eher in allgemeine Qualifikationen und Fertigkeiten investiert wird; der Anreiz der Unternehmen, in die Qualifizierung ihrer Beschäftigten zu investieren, ist gering, weil der Ertrag dieser Investitionen angesichts der hohen Fluktuation nicht unbedingt dem jeweiligen Unternehmen zufließt.
- Die Beziehungen zwischen den Unternehmen gestalten sich im Wesentlichen als Tauschbeziehungen; Kooperationsbeziehungen werden durch anti trust-Regelungen erschwert. Auch der Transfer von Technologie erfolgt vornehmlich über den Markt; Formen der Forschungszusammenarbeit spielen keine bedeutende Rolle.
»It should be apparent that there are many institutional complementarities across the sub-spheres of a liberal market economy (..). Labor market arrangements that allow companies to cut costs in a down-turn by shedding labor are complementary to financial markets that render a firm’s access to funds dependent on current profitability. Educational arrangements that privilege general, rather than firm-specific, skills are complementary to highly fluid labor markets; and the latter render forms of technology transfer that rely on labor mobility more feasible« (Hall und Soskice 2001, S. 32).
Kommentar
Der Varieties of Capitalism-Ansatz hat in den letzten Jahrzehnten größere Aufmerksamkeit erfahren als die Konzepte der Regulationstheorie. Trotz der verschiedentlich herausgestellten Unterschiede in der theoretischen Begründung der Ansätze, sollten beide Ansätze und die darin anschließenden empirischen Forschungen genutzt werden, um der historischen und weltregionalen Vielfalt von Kapitalismen auf die Spur zu kommen.
Literatur
Beck, Stefan/ Christoph Scherrer 2013: Varieties of Capitalism. Konzeptionelle Schwächen angesichts der Finanzkrise, in: Joscha Wullweber et al. (Hrsg.), Theorien der Internationalen Politischen Ökonomie, Wiesbaden: Springer, S. 151–166
Hall, Peter A./ Soskice, David 2001: Varieties of Capitalism, Oxford: Oxford University Press
Hall, Peter A. 2006: Stabilität und Wandel in den Spielarten des Kapitalismus, in: Beckert, Jens/ Bernhard Ebbinghaus/ Anke Hassel/ Philip Manow (Hg.) 2006: Transformationen des Kapitalismus, Frankfurt a.M.: Campus, S. 181-204
Schröder, Martin 2013: Integrating Varieties of Capitalism and Welfare State Research. A Unified Typology of Capitalisms, Houndmills/New York: Palgrave Macmillan