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Das auf David Lockwood (1987) zurückgehende Konzept analysiert soziale Ungleichheiten, die mit den (formellen bzw. informellen) staatsbürgerlichen Rechten einer Person und ihrer sozialen Anerkennung in Zusammenhang stehen.

Staatsbürgerliche Schichtung bei Lockwood

Lockwood schlägt folgende Definition vor: »Staatsbürgerliche Schichtung bezeichnet jene Aspekte menschlicher Lebenschancen, die dem Wesen nach von Nicht-Marktkriterien bestimmt werden und die sich in der einen oder anderen Form von den Rechten ableiten, die mit dem Status der Staatsbürgerschaft verknüpft sind. Dies bedeutet weder, daß Staatsbürgerschaft ein selbstverständlich gegebener noch, daß sie ein statischer Status ist. Die spezifischen Rechte, aus denen sie sich zusammensetzt, sind nur durch leidenschaftlichen Kampf über Jahrhunderte hindurch gewonnen worden« (S. 41).

Lockwood nimmt so die von Thomas H. Marshall (2000) in den 1950er Jahren entwickelte Fragestellung zum Zusammenhang von Staatsbürgerrechten und sozialen Klassen auf und liefert einen Beitrag zu ihrer Erweiterung und Ausdifferenzierung.

Er unterscheidet verschiedene Gruppen: zum einen entlang ihrer materiellen und moralischen (die Fähigkeit, zur Erreichung von Zielen moralische Empfindungen zu mobilisieren) Ressourcen; zum anderen entlang ihrer Verfügung über verschiedene Grade von staatsbürgerlichen Rechten. Mit der Einbeziehung moralischer Ressourcen erweitert er eine an materiellen Ressourcen orientierte Konzeption von Klassen bzw. Schichten.

Moralische und materielle Ressourcen
+                                                                  –
 
Staatsbürgerschaftsgewinn
(Vorteilhafte Nutzung von Staatsbürgerrechten)  
Staatsbürgerschaftsdefizit
(Mangelhafte Geltendmachung von Staatsbürgerrechten)
+    

Staats-
bürger-
rechte

Staatsbürgerschaftsaktivismus
(Ringen um die Durchsetzung von neuen Staatsbürgerrechten)
Staatsbürgerschaftsausschluss
(De jure und de facto Ausschließung von Staatsbürgerrechten)
Eigene Darstellung nach Lockwood (1987, S. 33)

Die darüber entstehenden Gruppen charakterisiert Lockwood wie folgt

In einer Schlussbemerkung (S. 41 f.) geht Lockwood der Frage nach, wie wahrscheinlich es ist, dass sich um die verschiedenen Konfliktlinien auch manifeste soziale Konflikte herausbilden.

Erträge für die Sozialstrukturanalyse

Die von Lockwood vorgelegte Kategorisierung birgt für die sozialstrukturelle Analyse eine Reihe von wichtigen Erkenntnissen:

Seine Argumentation zusammenfassend erklärt Lockwood: Er habe zeigen wollen, »daß der Status (in diesem Fall derjenige, der auf Staatsbürgerschaft basiert), Effekte hat, die nicht weniger real sind als jene, die als Folgen der ›Klassen‹position und des Klasseninteresses angesehen werden. In einem gewissen Sinn (…) sind sie sogar realer, weil die Staatsbürgerschaft wie jede andere Statusordnung nicht nur Positionen, sondern auch die legitimen Interessen ihrer Inhaber definiert« (S. 45).

In einer anderen Fassung des Beitrags hatte Lockwood von Staatsbürgerschaft als einem eigenen Kräftefeld gesprochen, das es ermögliche, auch intersektionale Fragen mit der Klassenanalyse zu verknüpfen: »It is also clear that, while its practice is heavily influenced by the structure of class and status inequality, citizenship can be seen to exert a force-field of its own: in part through stratifying practices such as civic exclusion and stigmatization; in part through ethical exploitation as in civic activism; and, most generally, through providing a legitimation of inequality, and thereby the basis of whatever degree of social integration capitalist democracies possess – the measure (…) of which has still be devised. Finally, unlike class analysis, the approach set out above allows inequalities related to age, gender and ethnicity to be incorporated within the same explanatory scheme« (1996, S. 547).

Erweiterung der Perspektive

Lydia Morris (2025) kommt in einem Lockwood gewidmeten Band zu der Einschätzung: »The concept of civic stratification and its four distinctive forms provide us with some tools for analysing the dynamic nature of rights and for placing their development more firmly in the context of struggle. That struggle can take place over the grounding of individual worth and moral resources, but inevitably raises further questions about the basis of moral standing in society« (S. 22). In diesem Sinne kritisiert sie, dass sowohl bei Lockwood wie auch bei Marshall eine Auseinandersetzung mit der politischen Einbettung fehle. »So while the language of rights carries a sense of ethical certainty, in practice their granting and delivery is subject to political  constraints, and to a legitimating process that can be strongly influenced by political rhetoric.  In this context, citizenship as the architect of legitimate inequality takes on a much more  political cast that fashions public sentiment in line with the content and delivery of rights, and  legitimacy in line with national policy« (S. 21).

Morris befasst sich in ihrer Analyse, die sie als Ausführung und Erweiterung der Ideen Lockwoods begreift,

Kommentar

Die von Lockwood entwickelten und von Morris ausdifferenzierten Konzepte ermöglichen sozialstrukturelle Analysen, die sich neben der sozioökonomischen Positionierung immer auch für soziopolitische Positionierungen interessieren. Letztere gehen auf die inkludierenden und exkludierenden  Praktiken von Nationalstaaten zurück. Mit Lockwood wird dann aber deutlich, dass es immer auch um Fragen der moralischen Ressourcen und der Anerkennung bestimmter Gruppen geht. Darüber entstehen, wie Morris ausführt ›moralische Ökonomien‹, in denen die Eingeschlossenen, die teilweise Inkludierten und die Ausgeschlossenen immer auch mit bestimmten Bildern verknüpft werden. So werden bei der Sozialhilfe, die ›hart arbeitenden Menschen‹,  die ›verdienten‹ und die ›unverdienten Armen‹ unterschieden. Bei der Migration geht es neben den ›Alteingesessenen‹ um die ›integrationsbereiten‹ Migrant:innen und die ›Integrationsverweigerer‹. Neben Variationen der rechtlichen Schließung spielen immer auch soziale und moralische Schließungen eine Rolle.

Literatur

Lockwood, David 1987: Schichtung in der Staatsbürgerschaft, in: Giesen, Bernhard/ Hans Haferkamp (Hrsg.), Soziologie der sozialen Ungleichheit, Opladen: S. 31-48

Lockwood, David 1996: Civic Integration and Class Formation, in: The British Journal of Sociology, Sep. 1996, Vol. 47, S. 531-550

Marshall, Thomas H. 2000 [1950]: Staatsbürgerrechte und soziale Klassen, in: Jürgen Mackert/ Hans-Peter Müller (Hrsg.), Citizenship – Soziologie der Staatsbürgerschaft, Opladen: Westdeutscher Verlag, S. 45-102

Morris, Lydia 2025: Citizen rights, migrant rights, and civic stratification, Abingdon, New York: Routledge