Von einem sozialen Raum wird (in der Sozialstrukturanalyse) gesprochen, wenn verschiedene soziale Gruppen in einer (mehrdimensionalen) räumlichen Ordnung dargestellt werden. Diese kann sich eher auf einen national abgegrenzten Sozialraum, aber auch auf einen weltgesellschaftlichen Horizont beziehen.
Die Metapher bzw. das Konzept eines sozialen Raums wurde in der Analyse nationaler wie globaler Sozialstrukturen in ganz verschiedener Weise umgesetzt. Zunächst geht es um die Dimensionen des sozialen Raums.
Dimensionen des sozialen Raums
- Bereits in den 1920er Jahren hatte Pitirim Sorokin von einer vertikalen und horizontalen Dimension des sozialen Raums gesprochen. Bei der vertikalen Dimension besteht ein relativer Konsens darüber, dass es hier um die sozioökonomischen Ungleichheiten gehe, wie die mit dem Produktionssystem bzw. seiner Berufsstruktur zusammenhängen; diese drücken sich dann in Verfügungsmacht, in Einkommen und Gewinnen aber auch im sozialen Status aus. Als horizontale Ungleichheiten werden weitere für die soziale Positionierung relevante Faktoren begriffen, die aber ›quer‹ zu den vertikalen Positionierungen stehen. Üblicherweise sind dies Ungleichheiten, die mit dem Geschlecht, dem Alter, mit ethnischen oder religiösen Zurechnungen oder mit regionalen Unterschieden zusammenhängen.
- Eine besondere Bedeutung kommt dem Konzept des Sozialen Raums bei Pierre Bourdieu zu. Für ihn ist der soziale Raum Inbegriff der Sozialstruktur. Er geht in diesem Sinne von einem dynamischen sozialen Raum aus, der sich in den Gegenwartsgesellschaften (des globalen Nordens) über das verfügbare ökonomische und kulturelle Kapital sowie über die Struktur dieses Kapitals rekonstruieren lasse. Als eine dritte Dimension lassen sich zeitliche Entwicklungen ausmachen, die sich in Biographien und Generationenfolgen, aber auch im Wachsen und Schrumpfen von Sozialgruppen ausdrücken. Die Dimensionierung des sozialen Raums ist bei Bourdieu sowohl theoretisch wie empirisch begründet.
Neben dem euklidischen Raumbild finden sich in der Sozialstrukturanalyse auch Darstellung, die mit der Kontrastierung von Zentrum und Peripherie arbeiten.
Zentrum und Peripherie
- Reinhard Kreckel nutzt das Bild von Zentrum und Peripherie, um für einen nationalstaatlichen Kontext wesentliche Faktoren darzustellen, die zu den beobachtbaren sozialen Ungleichheiten beitragen. Er spricht von einem ungleichheitsbegründenden Kräftefeld. Im Zentrum stehen jene Akteure bzw. Intuitionen, die er als korporatives Dreieck von Kapital, Arbeit und Staat begreift; dieses Zentrum wird dann von wichtigen Verbänden und Interessengruppen, von neuen sozialen Bewegungen und schließlich von der sozialstrukturierten Bevölkerung gerahmt.
- Immanuel Wallerstein nutzt das Bild von Zentrum und Peripherie um Machtungleichheiten im Weltsystem zu analysieren. Dabei rechnet er die wirtschaftlich und politisch bzw. militärisch dominierenden Länder des globalen Nordens dem Zentrum zu; die Länder des Globalen Südens unterscheidet er in periphere und semiperiphere Länder (Schwellenländer oder newly industrialized states).
Literatur
Bourdieu, Pierre 1985: Sozialer Raum und ›Klassen‹. Leçon sur la leçon, Frankfurt am Main: Suhrkamp
Bourdieu, Pierre 1987: Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft, Frankfurt am Main: Suhrkamp
Kreckel, Reinhard 1992: Politische Soziologie der sozialen Ungleichheit, Frankfurt am Main/New York: Campus
Sorokin, Pitirim A. 1927: Social Mobility, New York: Harper & Row
Wallerstein, Immanuel Maurice 2004: World-systems analysis. An introduction, Durham NC: Duke University Press
Zündorf, Lutz 2010: Zur Aktualität von Immanuel Wallerstein. Einleitung in sein Werk, Wiesbaden: VS Verlag