Regulationstheorie

Der Regulationsansatz ist in den 1970er Jahren in Frankreich entwickelt worden. Er interessiert sich für das Zusammenspiel von wirtschaftlicher Entwicklung und außerwirtschaftlichen Institutionen bzw. Praktiken. Dabei wird die die Frage verfolgt, wie bestimmte Formen der kapitalistischen Produktion (Akkumulationsregimes) mit bestimmten Formen der Regulierung und Reproduktion (Regulationsweisen) zusammenhängen. Ein typisches Beispiel liefert der im Kontext des Fordismus beobachtbare Zusammenhang von Massenproduktion und Massenkonsum. Im Zentrum steht dabei die Analyse jener Institutionen und Praktiken, die dieses Phänomen ermöglicht haben.

Konzepte der Regulationstheorie

Fordismus

Am Beispiel des Fordismus, der insbesondere in den prosperierenden Nachkriegsökonomien vielen Länder des globalen Nordens eine wichtige Rolle spielte, wird aufgezeigt, wie die standardisierte Massenproduktion von langlebigen Konsumgütern (z.B. Automobile, Haushaltsgeräte, aber auch Wohnungen) und der Massenkonsum (z.B. Automobilisierung, mit Industrieprodukten ausgestattete Eigenheime in den Vorstädten) in Zusammenhang stehen. Dieses Entwicklungsmodell setzte spezifische Institutionen und Infrastrukturen sowohl auf der Produktions- wie der Reproduktionsseite voraus. Wichtig ist z.B. ein hinreichendes und kalkulierbares Lohnniveau, das die in der Massenproduktion Beschäftigten auch zu potentiellen Käufer:innen der hergestellten (oftmals sehr teuren) Produkte macht; wichtig sind aber auch die Infrastrukturen, z.B. die Raum- und Verkehrspolitik.

Regulation

Das Konzept der Regulation bezieht sich nicht nur auf die regulierenden Aktivitäten der Nationalstaaten. Er umfasst den Prozess, »in dem das gesellschaftliche Handeln so ausgerichtet wird, dass es – in einem bestimmten Zeitraum – mit der erweiterten Reproduktion des Kapitals (d. h. der Ausdehnung der kapitalistischen Warenproduktion und der Lohnarbeit sowie der Akkumulation des Kapitals) vereinbar bleibt (…). Obwohl Politik hier eine große Rolle spielt, kann der Begriff der Regulation nicht auf bewusste politisch-staatliche Regulierung im engeren Sinne, die gleichsam von außen in die Ökonomie eingriffe, reduziert werden. Der Begriff der Regulation bezieht sich auf den Gesamtzusammenhang sozialer Verhältnisse und gesellschaftlicher Akteure« (Sablowski 2013, S. 88).

Jessop und Sum konstatieren, der Regulationsansatz »konzentriert sich auf die wechselnden Kombinationen von wirtschaftlichen und außerwirtschaftlichen Institutionen und Praktiken, die dazu beitragen, (…) eine gewisse Stabilität und Berechenbarkeit der Akkumulation zu sichern – trotz der grundlegenden Widersprüche und Konflikte, die durch die Dynamik des Kapitalismus selbst erzeugt werden. Es wird daher eine breite Palette von institutionellen Faktoren und sozialen Kräften untersucht, die direkt und indirekt an der Kapitalakkumulation beteiligt sind« (2006, S. 4). In Abgrenzung zu den in der Ökonomie vorherrschenden neoklassischen Ansätzen wird die Bedeutung der historischen und institutionellen Einbindung des ökonomischen Geschehens betont.

Akkumulationsregime

Lipietz definiert das Konzept wie folgt: »Das Akkumulationsregime ist ein Modus systematischer Verteilung und Reallokation des gesellschaftlichen Produktes, der über eine längere Periode hinweg ein bestimmtes Entsprechungsverhältnis zwischen den Veränderungen der Produktionsbedingungen (dem Volumen des eingesetzten Kapitals, der Distribution zwischen den Branchen und den Produktionsnormen) und den Veränderungen in den Bedingungen des Endverbrauches (Konsumnormen der Lohnabhängigen und anderer sozialer Klassen, Kollektivausgaben, usw. … ) herstellt« (1985, S. 120).

Im Anschluss an Becker (2002) können verschiedenen Grundtypen von Akkumulationsregimes unterschieden werden:

  • extensive oder intensive Akkumulation: Während bei der extensiven Akkumulation das vorhandene Arbeitspotential extensiv genutzt und ihr Überleben immer auch von nicht kapitalistischen Formen (z.B. Subsistenzproduktion) abhängt, kommt es in der intensiven Akkumulation zu geregelteren Formen der Nutzung des Arbeitspotentials. Zudem erfolgt die Reproduktion der Arbeitskräfte vor allem über die Produkte kapitalistischer Produktion (z.B. industriell hergestellte Lebensmittel und Konsumgüter).
  • extrovertierte oder introvertierte Akkumulation: Dabei geht es die Frage von eher nationalstaatlichen und eher globalen organisierten Produktions- und Akkumulationsprozessen.
  • Akkumulation unter der Dominanz des Industrie- oder des Finanzkapitals: Hier wird untersucht, welche Gewichtungen sich im Verhältnis von industriellem und Finanzkapital beobachten lassen.

Regulationsweise

Eine Regulationsweise ist durch ein spezifisches Zusammenspiel von Institutionen und Infrastrukturen, aber auch von Orientierungsmustern charakterisiert, die die Produktion, die Verteilung und den Konsum von Waren organisieren. Nach Boyer (1986: 48 ff.) lassen sich verschiedene institutionelle Formen der Regulation unterscheiden:

  • Regulation des Geldes und des Kredits
  • Regulation der Lohnverhältnisses
  • Regulation der Konkurrenz
  • Formen des Staates
  • Formen der Artikulation nationaler, regionaler und globaler Verhältnisse

So geht es auf der einen Seite um die Rahmenbedingungen der Produktion und der Konkurrenz, z.B. die Regeln der Geld- und Kreditwirtschaft oder Wettbewerbs. Auf der anden Seite sind es die Rahmenbedingungen der Reproduktion bzw. des Konsums. »Im Bereich des Lohnverhältnisses [finden sich] beispielsweise Formen der Regulation des Arbeitsmarktes und des Arbeitsvertrags, des Arbeitsprozesses, der Löhne und Sozialleistungen, der Konsumnormen und der kollektiven Lebensweise« (Sablowski 2013, S. 95).

Theoretische Bezüge

Während die Regulationstheorie insbesondere in ihren Anfängen stark an Marxschen Konzepten orientiert war – das zeigt sich auch in den zentralen Begriffen –, hat sich im Laufe der weiteren Entwicklung des Ansatzes eine Vielzahl von (immer auch landesspezifischen) Schulen und theoretischen Bezügen herausgebildet. Allen gemein ist die Distanzierung von neoklassischen und ahistorischen Modellen der ökonomischen Analyse. 

Fordismus und mehr

Während die Analysen des fordistischen Regimes die Fruchtbarkeit und Konsistenz des Regulationsansatzes unter Beweis stellen konnten,  steht die Analyse der darauf folgenden Konstellationen bzw. die Analyse anderer Weltregionen vor großen Herausforderungen. Dies sei exemplarisch an einigen Strängen der Debatte aufgezeigt.

Nachfordistische Akkumulationsregime

Während in den politischen und medialen Diskursen des frühen 21. Jahrhunderts der Term ›Postfordismus‹ florierte, taten sich die Sozialwissenschaften mit der Analyse der Entwicklungen seit den 1980er Jahren weitaus schwerer.

Eine Analyserichtung befasste sich eher mit der Produktionsseite. So wurde z.B. von Flexibler Spezialisierung , Toyotismus, Neofordismus oder nachfordistischer Ökonomie gesprochen.

Eine andere Richtung analysierte die Entwicklungen bei den regulierenden Instanzen. So diagnostiziert Jessop eine veränderte Rolle der Nationalstaaten und ihrer Konzepte der Regulierung. Generell gewinnen neoliberale und neo-konservative Regime an Bedeutung. Für die fordistische Konstellation spricht er von einem »Keynesian welfare national state (KWNS)«. Demgegenüber sei im Postfordismus ein »Schumpeterian workfare postnational regime (SWPR)« (Jessop 2006, S. 106 f.) entstanden: »Der erste Begriff (…) bezieht sich auf die charakteristische Form der staatlichen Intervention, die für eine bestimmte Form der sozialen Regulierung typisch ist, der zweite bezieht sich auf die besondere Form der sozialen Intervention, die der Staat bevorzugt, der dritte auf den primären Maßstab, auf dem diese Funktionen bestimmt werden (…) und der vierte auf die Hauptform der Kompensation von Marktversagen« (107).

Akkumulationsregime in anderen Weltregionen

Jessop verdichtet die Analyse der Entwicklung ostasiatischer Länder zu einem Modell des Exportismus. Im Unterschied zur fordistischen Konstellation, bei der die nationalen Mittelklassen eine zentrale Rolle als Konsumenten spielen, ist es hier der Export; dieser unterliegt jedoch erheblichen konjunkturellen Schwankungen. »Die Hauptwachstumsdynamik hängt (…) mit dem Zyklus der exportorientierten (Re-)Investitionen zusammen, die die lokale, nationale, regionale und globale Ebene miteinander verbinden und sie der globalen nachfrageorientierten Dynamik unterordnet. Der Konsum selbst ist hauptsächlich flexibel und dort, wo er nicht von der Subsistenzlandwirtschaft und Haushaltsproduktion abhängt, unterliegt er den internationalen Handelsbedingungen und Exportkapazitäten. Daher wäre ohne die Internationalisierung der Produktion und eine gezielte ›Öffnung‹ des Weltmarktes für die Ausfuhr von Gebrauchsgütern ein exportorientierter Wachstumsmodus nicht möglich gewesen« (2006, S. 163).

Kommentar

Ungeachtet der großen Schwierigkeiten einer verdichtenden Analyse heutiger  Akkumulationsregime sollte noch einmal auf die Stärken des Ansatzes verwiesen werden. Sie liegen in der Frage nach den regulativen und infrastrukturellen Voraussetzungen verschiedener Produktions- und Reproduktions- bzw. Konsummodelle.

Die Bedeutung für die Sozialstrukturanalyse lässt sich gut an der fordistischen Konstellation aufzeigen, wo deutlich wird, dass das Modell ›Massenproduktion und Massenkonsum‹ ein hinreichendes und stabilisiertes Lohnniveau und ein erhebliches Maß an sozialer Sicherung voraussetzte. Hier werden mehr oder weniger direkte Bezüge zwischen der Organisation und Regulierung der gesellschaftlichen Produktion und der Veränderung von Sozialstrukturen erkennbar. Die nachfordistische Konstellation gestaltet sich weitaus komplexer.

Das liegt zum einen daran, dass es zu einer Ausdifferenzierung der Produktion durch Technisierung und Informatisierung gekommen ist und dass die Reorganisation der unbezahlten Arbeit in den Haushalten (z.B. der Care-Arbeit) und der Wandel der Konsummuster (z.B. Lieferdienste) zu einem starken Wachstum des Dienstleistungssegments geführt hat. Mithin hat man es gegenüber der egalisierenden und sozial gesicherten Industriearbeit mit erheblichen Unterschieden in den Einkommen und der sozialen Sicherheit zu tun.

Zum anderen haben die Globalisierung von Produktion und Konsum (und ihrer Finanzierung), der Bedeutungswandel der Nationalstaaten und schließlich die transnationale Migration dazu geführt, dass die vormals nationalstaatlich hergestellte räumliche Nähe von Produktion, Regulierung und Konsum erodiert. So kann z.B. die Bevölkerung der prosperierenden Länder von der externalisierten unzureichend entlohnten und abgesicherten Produktions- und Dienstleistungsarbeit in anderen Weltregionen profitieren. Die Globalisierung und Informatisierung der Finanzwirtschaft und ihrer Infrastrukturen haben die Beziehungen zwischen der zumeist ortsbezogenen Welt der Produktion und der Finanzwelt weitreichend  verändert.  Im Rahmen einer von wenigen Tech-Konzernen organisierten Plattformökonomie sind neuartige kaum regulierte Marktstrukturen entstanden, die neue Verhältnisse der weltwirtschaftlichen Teilung von Arbeit und Gewinn hervorgebracht haben. Für weniger prosperierende Länder kann die Qualifizierung und der ›Export‹ von Arbeitskräften und die damit erwarteten Rückflüsse zu einem eigenen Produktionsmodell werden.

Beide Entwicklungen tragen dazu bei, dass soziale Ungleichheiten in der nationalstaatlichen Betrachtung (verglichen mit der klassischen Industriegesellschaft)  eher zunehmen. Im Rahmen eines Nationalstaats hat man es mithin mit recht unterschiedlichen parallel existierenden Akkumulationsregimen zu tun.

Literatur

Becker, Joachim 2002: Akkumulation, Regulation, Territorium. Zur kritischen Rekonstruktion der Regulationstheorie, Marburg: Metropolis

Boyer, Robert 1986: La théorie de la régulation. Une analyse critique, Paris: La Découverte

Jessop, Bob/ Ngai-Ling Sum 2006: Beyond the Regulation Approach. Putting Capitalist Economies in their Place, Cheltenham, Northampton MA: Edward Elgar

Lipietz, Alain 1985: Akkumulation, Krisen und Auswege aus der Krise. Einige methodische Überlegungen zum Begriff der ›Regulation‹, in: Prokla 15, 1, S. 109-137

Sablowski, Thomas 2013: Regulationstheorie, in: Joscha Wullweber et al. (Hrsg.), Theorien der Internationalen Politischen Ökonomie, Wiesbaden: Springer, S. 85-99