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Eric Olin Wright hat sich in seinen theoretischen und empirischen Analysen immer wieder mit Klassenanalysen befasst. Wenn man die von ihm favorisierten Modelle in der Abfolge betrachtet, werden einerseits wissenschaftliche Lernprozesse deutlich, zu denen sich Wright auch verschiedentlich ›bekannt‹ hat; andererseits drückt sich in diesen Modellen auch die Entwicklungen der wissenschaftlichen Diskurse der Sozialstrukturanalyse aus.  Bei genauerer Lektüre seiner Texte wird deutlich, dass die im Folgenden gegeneinander abgegrenzten Ansätze eher Ausdruck eines allmählichen kognitiven Entwicklungsprozesses sind.

Neo-marxistische Klassenanalyse

Eric Olin Wright bezeichnet das zunächst von ihm vorgelegte Modell als eine neo-marxistische* Klassenanalyse. Sie zeichnet sich gegenüber der Marxschen Prognose dadurch aus, dass sowohl die Polarisierungs- wie die Konzentrationsthese schwächer gefasst wird. In der vertikalen Dimension wird dies deutlich, indem er die polarisierte Struktur von Bourgeoisie und Proletariat durch zwei Gruppen ergänzt: die aus dem Proletariat aufgestiegene oder aus der handwerklichen Produktion übergewechselte Gruppe der Vorarbeiter:innen und die mit der Ausdifferenzierung von Eigentum und Leitung entstehende Gruppe der Manager:innen.

Eigene Darstellung und Übersetzung nach Wright et al. (1982, S. 711)

In der Horizontalen werden Gruppen bzw. Betriebsformen erkennbar, die entgegen der Konzentrationsthese auch in fortgeschrittenen industriellen und postindustriellen Gesellschaften zu finden sind. Das ist zum einen die Kleinbourgeoisie, zumeist der alte Mittelstand; das sind aber auch kleinere Unternehmen, die in vielfältigen Wechselbeziehungen mit der großbetrieblichen Produktion stehen und das sind schließlich teilautonome Beschäftigte, die sich über spezifische (formal selbständige) Beschäftigungsverhältnisse gegenüber der Lohnarbeitskonstellation abheben.

Strukturale Klassenanalyse

In seiner 1997 erstmals vorgelegten vergleichenden Studie class counts arbeitet Wright mit einem Klassenschema, in dem vier zentrale Momente der Differenzierung von Klassenpositionen zusammengefasst sind:

Eigene Darstellung und Übersetzung nach Wright (2000, S. 22)

Wright begreift eine solche Analyse von Klassenstrukturen als ein wichtiges Element eines umfassenderen Programms der Klassenanalyse: er untersucht in der Studie demnach auch Prozesse der Organisierung von Klassen (class formation), die Kämpfe um Klasseninteressen (class struggle) und die Fragen des Selbstverständnisses bzw. der Gewahrwerdung von Interessen bei den abhängig Beschäftigten (class consciousness).

Schließlich befasst er sich in der Studie ausführlich mit dem Verhältnis von Klasse und Geschlecht, indem er verschiedene Konzepte der Relation von class und gender diskutiert, indem er die Frage von Klassenanalysen auf der Basis von Individuen bzw. von Haushalten reflektiert, indem er die geschlechtsspezifische Teilung häuslicher Arbeit untersucht und indem er der Positionierung von weiblichen Arbeitskräften in betrieblichen Hierarchien nachgeht. In seinen empirischen Analysen werden auch intersektionale Ungleichheitskonstellationen untersucht.

Klassenanalyse als ›pragmatischer Realismus‹

In einem 2009 erschienenen Aufsatz understanding class widmet sich Wright insbesondere der bereits in früheren Arbeiten verfolgten Frage, wie sich verschiedene theoretische Ansätze der Klassenanalyse zusammenführen lassen – er plädiert dabei für einen »›pragmatischen Realismus‹« (2023, S. 9). Wright unterscheidet:

In einem Tableau vergleicht Wright die Art der Verknüpfung von Ungleichheitsmerkmalen im Kontext der verschiedenen Ansätze.

 
Ansätze der Klassenanalyse
ökonomische Bedingungen
ökonomische Aktivitäten
Individuelle AttributeNichtrelationalNichtrelational
ChancenhortungRelationalNichtrelational
Herrschaft/ AusbeutungRelationalRelational
Eigene Darstellung nach Wright (2023, S. 26)

So könne der Webersche Ansatz zwar die ökonomischen Bedingungen analysieren, die zu der Differenzierung von Produktionsmittelbesitz und abhängiger Arbeit führen; er sei aber nicht in der Lage, die ökonomische Aktivität der Ausbeutung zu erfassen. Dies sei erst mit den Marxschen Konzepten möglich.

Für eine Integration dieser drei Ansätze verdichtet er diese, indem er jeweils einen Schlüsselprozess identifiziert:

Die ersten beiden Mechanismen liefern mithin Erklärungen für die Genese sozialer Positionen (Verweis auf Rankingprozesse); der letzte Mechanismus erhellt Prozesse des Sorting von Personen. Länderspezifische Ungleichheiten in den Klassenstrukturen entstehen dann über die unterschiedliche Weise, in der diese Mechanismen zusammenwirken (vgl. S. 30).

Die verschiedenen Ungleichheitsmechanismen, bzw. die damit verbundenen theoretischen Konzepte werden schließlich in einem (stark vereinfachten) dynamischen Modell zusammengeführt; dabei wird berücksichtigt, dass die durch »durch die sozialen Beziehungen hervorgerufenen Kämpfe zur Veränderungen der Beziehungen selbst beitragen« (S. 32).

Eigene Darstellung nach Wright (2023, S. 33)

Die Wirtschaftssysteme bzw. Regulierungsmechanismen verschiedener Länder unterscheiden sich, »wie weitreichend die Rechte und Befugnisse sind, die mit dem Privateigentum an Produktionsmitteln einhergehen, und somit in der Art der Klassenspaltung zwischen Kapitalisten und Arbeitern« (S. 33).

Kommentar

Das erste von Wright vorgeschlagene Modell kann als eine sinnvolle Ausdifferenzierung der bei Marx angelegten Analysen begriffen werden. Er bleibt jedoch auf halben Wege stehen, indem er sowohl die Bourgeoisie wie das Proletariat nicht weiter differenziert. So finden sich vor allem im ›Proletariat‹ ausgesprochene Qualifikationsunterschiede, die sich in der Entlohnung, in der beruflichen Sicherheit, im Organisationsverhalten und schließlich im Fortbestand bzw. im Schwinden der Teilgruppen angesichts der grundlegenden Transformationsprozesse der industriellen Produktion niederschlagen.

In dem zweiten Modell werden weitere Differenzierungen eingeführt; somit können wichtige Entwicklungsprozesse in der Beschäftigungsstruktur von Industriegesellschaften präziser dargestellt werden. Dennoch stellen sich eine Reihe von Problemen:

Das dritte Modell hier vorgestellte Modell fokussiert neben der Rekonstruktion von Klassenstrukturen vor allem auf die Unterscheidung von ungleichheitsgenerierenden Mechanismen und knüpft damit an aktuelle Debatten der Ungleichheitsforschung an. Die vorgeschlagene Lesart, die auf Marx bzw. Weber zurückgehenden Argumentationen als Beiträge zu einer Theorie der Genese und Veränderung sozialer Positionen zu lesen und die stratifikatorische Perspektive als Analyse von Sortingprozessen zu begreifen, erscheint fruchtbar und weist Bezüge zu der auf Granovetter und Tilly (1988) zurückgehenden Unterscheidung von Ranking– und Sortingprozessen auf.

Die trotz aller klugen und kreativen Erweiterungen noch immer enge Bindung an die Marxsche Orthodoxie (vgl. das 2015 geführte Interview in Wright 2023, S. 43ff) verschließt aber einen erweiterten Blick auf soziale Ungleichheiten, der die Debatten um globale bzw. transnationale Ungleichheiten, um intersektionale Ungleichheiten und um komplexe Migrationsprozesse aufnimmt. Die von Wright herausgestellte Bedeutung von Herrschafts- und Ausbeutungsverhältnissen muss im Kontext globaler Ungleichheitsverhältnisse und komplexer Finanzialisierungsprozesse neu gedacht und von politisch moralischen Implikation gelöst werden.

Anmerkungen

* Bei Tarrit (2021) heißt es: »Wright’s Marxism is a sociologised Marxism, as the expression of a neo-Weberian logic of social stratification«.

Literatur

Breen, Richard 2005: Foundations Of A Neo-Weberian Class Analysis, in: Erik Olin Wright (Hrsg.), Approaches to Class Analysis, Cambridge: Cambridge University Press

Granovetter, Mark/ Charles Tilly 1988: Inequality and Labor Processes, in: Neil Smelser (ed.), Handbook of Sociology, Newbury Park CA: Sage Publications, S. 175–222

Tarrit, Fabien 2021: Erik Olin Wright (1947-2019). Classes and utopia, Cescontexto, hal-03373566

Tilly, Charles 1999: Durable Inequality, Berkeley, Los Angeles, London: University of California Press

Weil, Robert 1995: Contradictory Class Definitions: Petty Bourgeoisie and the ›Classes‹ of Erik Olin Wright, in: Critical Sociology, Volume 21, Issue 3

Wright, Erik Olin/ Cynthia Costello/ David Hachen/ Joey Sprague 1982: The American Class Structure, in: American Sociological Review, Vol. 47, No. 6, S. 709–726

Wright, Erik Olin 2000 [1997]: Class Counts. Comparative Studies in Class Analysis. Student Edition, Cambridge: Cambridge University Press

Wright, Erik Olin 2009: Understanding Class. Towards an Integrated Analytical Approach, in: New Left Review, 60, S. 101-116
Deutsche Übersetzung in Wright (2023)

Wright, Erik Olin 2015: Understanding Class, London: Verso

Wright, Erik Olin 2023: Warum Klasse zählt, Berlin: Suhrkamp