In dieser Monographie von Martin Heidenreich geht es um territoriale (räumliche) und soziale Ungleichheiten als zentrale Herausforderungen der europäischen Integration.
Überblick:
Thematische Struktur
Fragestellung
Martin Heidenreich geht in seiner Studie der Frage nach, wie sich in Europa das Zusammenspiel zwischen binnenstaatlichen Ungleichheiten (soziale Unterschiede innerhalb der europäischen Nationalstaaten) und zwischenstaatliche Ungleichheiten (wirtschaftliche und soziale Unterschiede zwischen den EU-Staaten) gestaltet. Er fragt dementsprechend nach dem Zusammenspiel von sozialen und räumlichen Spaltungslinien.
Dabei grenzt er zwei Phasen der europäischen Entwicklung gegeneinander ab. Die Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg waren eher von einer nationalstaatlich ausgerichteten Thematisierung und Regulierung sozialer Ungleichheiten geprägt. Ab den 1990er Jahren lässt sich eine Öffnung des europäischen sozialen Raums beobachten; das impliziert sowohl die regulierenden Politiken wie auch die Wahrnehmung und Thematisierung von Ungleichheiten. So kommt es auf der wirtschaftlichen wie auf der politisch-institutionellen Ebene zu einer Vertiefung und Erweiterung der EU. Parallel ist auf der soziokulturellen Ebene eine Transnationalisierung von Lebensstilen und Praktiken, aber auch die Herausbildung grenzüberschreitender Solidaritäten zu beobachten.
Heidenreich vertritt dabei die These, »dass sowohl die Ursachen als auch die Wahrnehmungen und Regulierungen sozialer Ungleichheiten zunehmend in einem regional-national-europäisch strukturierten grenzüberschreitenden Raum zu verorten sind« (S. 9). Durch die wirtschaftlich-politische sowie die soziokulturelle Integration werden bislang dominante nationale Begrenzungen aufgebrochen. Es bildet sich ein »erweiterte(r) Bezugsrahmen für die Erzeugung, Regulierung und Wahrnehmung sozialer Ungleichheiten« heraus und es kommt zur »Umstrukturierung bisheriger Konfliktlinien und Konfliktregulierungsmechanismen« (S. 9).
Ausgehend von dieser Einschätzung zielt das Buch darauf, diese Restrukturierungsprozesse zu analysieren und der Frage nachzugehen, welche Länder bzw. sozialen Gruppen sich eher auf der Gewinner- und der Verliererseite finden. Dabei konzentriert sich die Untersuchung vor allem auf materielle bzw. Ressourcenungleichheiten.
Konzeptionelle/ theoretische Überlegungen
In Abgrenzung zu Thesen, die Prozesse der europäischen Integration auf die Diagnose eines »Europa ohne Gesellschaft« verdichten, versucht Heidenreich auf europäischer Ebene Prozesse der Vergesellschaftung auszumachen. »Europa ist gleichzeitig mehr als der Binnenmarkt, der Euro oder ein bürokratisches Herrschaftszentrum, aber sie ist in vielen Bereichen auch weniger als ein Nationalstaat« (S. 18). Zudem grenzt er sich gegen Einschätzungen ab, die die EU »als undemokratisch, unsozial oder neoliberal« bezeichnen. So habe »die EU ein eigenständiges Muster der gesellschaftlichen Integration entwickelt, das in vielerlei Hinsicht eher den wirtschaftlich, politisch und soziokulturell sehr heterogenen USA als dem stark integrierten europäischen Nationalstaat der Nachkriegszeit« (S. 18) ähnele.
In der ersten Phase kam es zu einer Dynamik von Grenzziehung und nationalstaatlicher Strukturbildung, die aber im Kontext von sich globalisierenden Produktions- aber auch Migrationsprozessen zunehmend auf Schwierigkeiten stieß. »Angesichts der Grenzen nationalstaatlicher Regulierung (etwa in den Bereichen innere und äußere Sicherheit, Klimawandel, soziale Ungleichheit und soziale Absicherungen, technischer Wandel, Datensicherheit, Steuerhinterziehung, Seuchenbekämpfung, Terrorismus) treten vielfach europaweite Regelungen neben und an die Stelle nationaler Regulierungen« (S. 21). Darüber entsteht ein »ein transnationaler Verdichtungsraum in weltweiten Wertschöpfungs- und Regulierungsprozessen, der durch kommunikative Verdichtungen, ein hohes Maß wirtschaftlicher Integration und durch einheitliche rechtliche Rahmenbedingungen gekennzeichnet ist« (S. 22).
Vor diesem Hintergrund komme es zu einer Europäisierung sozialer Ungleichheiten. Das impliziert einerseits eine wirtschaftliche und politische Integration und andererseits eine soziokulturelle Integration (eine tendenzielle Transnationalisierung der Wahrnehmungen wie der Praktiken). Mit Bezug auf konflikttheoretische Perspektiven begreift er die Prozesse Institutionalisierung von Verfahren und Regeln und die sich darum entspannenden Auseinandersetzungen als wichtiges Moment der Vergesellschaftung. Dabei sei die europäische Sozialpolitik weniger durch Umverteilung als durch Regulierung gekennzeichnet. »Die europäische Integration führt daher zur Entwicklung einer transnationalen, politisch nur begrenzt regulierten Gesellschaft, in der die Muster sozialer Ungleichheiten stärker von der Beschäftigungsfähigkeit der Einzelnen und den wirtschaftlichen Erfolgen der Arbeitgeber abhängen« (S. 29). Damit sind verschiedene soziale Gruppen in recht unterschiedlichem Maße von diesen Prozessen der Integration betroffen. So betont er, »dass manche Gruppen in manchen Dimensionen von grenzüberschreitenden Öffnungsprozessen profitieren, während andere verlieren. Dies führt allerdings nicht zu einer dauerhaften, konsistenten und stabilen Spaltung der Gesellschaft in zwei Lager. Eine ›Auskristallisierung‹ sozialer Schichten entlang einer Spaltungslinie von Europäisierungsgewinnern und -verlierern wird hier nicht erwartet« (S. 30). Dementsprechend betont Heidenreich, dass die These der Europäisierung sozialer Ungleichheiten nicht impliziere, »dass sich europäische Ober-, Mittel- oder Unterschichten oder gar europaweite Aufstiegs- und Mobilitätsmuster herausbilden« (S. 30).
Empirische Analysen
Die empirischen Analysen stützen sich vor allem auf die Mikrodaten des europäischen Haushaltspanels (EU-SILC). Bei der Analyse werden verschiedene Perspektiven verfolgt:
- Wirtschaftliche Disparitäten in der EU (Kap. 4)
- Europäische Arbeitsmärkte und Lohnungleichheiten (Kap. 5 und 6)
- Europäisierung der Einkommensungleichheit und die Kumulierung von Armut und Ausgrenzung (Kap. 7 und 8)
- Bildung, Qualifikationen und soziale Mobilität (Kap. 9)
Wirtschaftliche Disparitäten
In Kapitel 4 wird deutlich, dass sich die wirtschaftliche Divergenz zwischen den Staaten bzw. Regionen verringert hat, dass diese Prozess aber in jüngerer Zeit zunehmend an Grenzen stößt. »Nicht nur auf dem Arbeitsmarkt, sondern auch in puncto wirtschaftliche Leistungsfähigkeit und Innovativität kann daher eine doppelte Spaltung Europas beobachtet werden. In technologischer, wissenschaftlicher und wirtschaftlicher Hinsicht ist nicht nur eine innerstaatliche Spaltung zwischen wissensbasierten, inklusiven Dienstleistungsmetropolen und weniger entwickelten Agrar-, Industrie- oder Tourismusregionen zu beobachten, sondern auch eine europaweite Spaltung zwischen zentralen nord- und kontinentaleuropäischen Technologie- und Dienstleistungsregionen und peripheren, vorwiegend süd- und mitteleuropäischen Regionen« (S. 81).
Auf den Arbeitsmärkten (Kap. 5) lassen sich ganz unterschiedlich Beschäftigungsordnungen beobachten:
- »Während die liberalen Länder auf den britischen Inseln durch marktbestimmte industrielle Beziehungen, soziale Absicherungen und eine aktive Bildungspolitik gekennzeichnet sind,
- spielen Staat und Gewerkschaften in Skandinavien eine zentrale Rolle für die Regulierung der Arbeitsverhältnisse, für die Bereitstellung sozialer Leistungen und für die Organisation privater Lebensformen.
- In den Mittelmeerländern treten sozialstaatliche und marktwirtschaftliche Arrangements zugunsten traditioneller betrieblicher und familialer Regulationsmuster zurück. Indikatoren hierfür sind das geringe Gewicht formaler Ausbildungen, ein starker Kündigungsschutz und eine hohe Bedeutung klassischer Familien- und Betriebsstrukturen.
- Die kontinentaleuropäischen Länder sind durch eine höhere Bedeutung sozialstaatlicher Absicherungen gekennzeichnet,
- während die mittel- und osteuropäischen Länder derzeit noch durch geringe Erwerbstätigen- und Erwerbsquoten, einen hohen Anteil mittlerer Qualifikationen und geringe Sozialschutzquoten gekennzeichnet sind« (S. 99).
Exemplarisch lassen sich diese Unterschiede an der Quote der Langzeitarbeitslosigkeit (S. 128) festmachen.
Resümierend konstatiert Heidenreich, »dass die Spaltungslinien der europäischen Arbeitsmärkte immer noch erheblich sind – insbesondere zwischen Süd- und Nord- und Kontinentaleuropa und zwischen qualifizierteren und weniger qualifizierten und zwischen kränkeren und gesünderen Beschäftigten mit einfacheren oder anspruchsvolleren Tätigkeiten. Allerdings deutet vieles auf einen Wandel der bisherigen exklusiven Beschäftigungsordnungen hin« (S. 141).
Lohn- und Einkommensungleichheiten
Bei den Lohnungleichheiten (Kap. 6) kommt es zwischen 2006 und 2018 zu einem deutlichen Rückgang; so geht für die EU-28 (ohne Kroatien) der Gini-Index von 0,37 auf 0,34 zurück (S. 161); betrachtet man nur die alten EU-Länder (EU 15) ist ein solcher Rückgang nicht zu beobachten. Die Konvergenz geht mithin auf rasche Anpassungsprozesse in den Ländern der erweiterten EU zurück. »Mittel- und Osteuropa haben durch Produktionsverlagerungen etwa in der Automobilindustrie und durch die Europäisierung der Märkte rasch aufgeholt und konnten sich erfolgreich in die europäischen und globalen Wertschöpfungsprozesse integrieren« (S. 162f). Dabei variieren die kaufkraftbereinigten landesspezifischen Durchschnittslöhne (5 KKS in Bulgarien – 21 KKS in der Schweiz) wie auch die Lohnungleichheiten (Gini: 0,39 in Bulgarien ― 0,19 in der Slowakei) erheblich. »Insgesamt kann somit auch am Beispiel der Löhne die tief greifende soziale und territoriale Spaltung der EU in Gewinner und Verlierer, in Zentrum und Peripherie, in sich rasch entwickelnde und in stagnierende Länder und Regionen beschrieben werden – auch wenn die Lohnungleichheiten in der Krise sogar geringer geworden sind« (S. 202).
Die auf der Haushaltsebene ermittelten Einkommensungleichheiten (Kap. 7) spiegeln die sozialstaatlichen wie die familialen Umverteilungsprozesse wider. Dennoch bleiben wesentliche Strukturmomente bestehen. So resümiert Heidenreich, »dass nationale Ungleichheiten des verfügbaren Einkommens in erheblichem Maße nationale Lohnungleichheiten und das von Land zu Land unterschiedliche Gewicht atypischer Beschäftigungsformen reflektieren. Auch private Lebensformen leisten einen erheblichen Beitrag zur Reduzierung nationaler Ungleichheitsmuster, da sich Haushalte in der Regel aus inaktiven Personen und aus aktiven Personen mit sehr unterschiedlichen Beschäftigungs- und Verdienstchancen zusammensetzen. Die Bedeutung der interfamilialen Umverteilung innerhalb der Haushalte ist deutlich höher als der Stellenwert der staatlichen Umverteilung durch Steuern und Sozialabgaben« (S. 239).
Armutsquoten
Die Lohn- und Einkommensungleichheiten drücken sich schließlich auch in sehr unterschiedlichen regimespezifischen Armutsquoten (Kap. 8) aus (S. 291).
Mit der Armutsquote korrespondieren oft auch andere Ausgrenzungs- und Beschäftigungsrisiken. In der Zusammenschau wird deutlich, dass sich die Risiken »insbesondere bei Unqualifizierten und Beschäftigten mit einfachen und ausführenden Tätigkeiten konzentrieren. Es existiert in Europa eine relativ stabile Gruppe, die dauerhaft und nicht nur in Krisenzeiten in erheblichem Maße und in der Regel mehrfach von den 14 beschriebenen Risiken betroffen ist. Diese Gruppe ist somit sowohl in finanzieller Hinsicht wie auch mit Blick auf die Beteiligung am Bildungssystem und am Beschäftigungssystem dauerhaft benachteiligt. Begrifflich kann deshalb zwischen zwei Formen der Spaltung unterschieden werden – zum einen aufgrund zugeschriebener Merkmale wie Geschlecht, Alter oder Migrationsstatus, zum anderen aufgrund leistungsbezogener Merkmale wie Berufs- und Tätigkeitsklassen und Bildungsniveaus« (S. 317). Mit diesen materiellen Faktoren der Ausgrenzung korespondieren auch die Lebenszufriedenheiten der Befragten. Sie liegen in den skandinavischen Ländern und den liberalen bzw. kontinentaleuropäischen Ländern recht hoch; in Südeuropa bzw. Mittel- und Osteuropa ist die Lebenszufriedenheit erheblich geringer (S. 319).
Qualifikation und Mobilität
Die Bildungsunterschiede (Kap. 9) zwischen den Ländergruppen haben sich zwischen 2007 und 2018 zwar verringert, sind aber immer noch erheblich. So verteilen sich die Bildungsabschlüsse der 25-64-Jährigen wie folgt (S. 341):
niedrige Bildung | mittlere Bildung | hohe Bildung | |
Brit. Inseln | 21% | 30% | 49% |
Skandinavien | 15% | 44% | 40% |
Kontinentaleuropa | 14% | 48% | 38% |
Südeuropa | 39% | 34% | 27% |
Osteuropa | 13% | 62% | 25% |
EU-28 u. CH u. NO | 21% | 45% | 34% |
Diese erheblichen Strukturunterschiede werden durch eine ausgeprägte Reproduktion von Bildungsungleichheiten noch verstärkt. So resümiert Heidenreich, »dass in Europa ein außerordentlich hohes Maß sozialer Schließung beobachtet werden kann. Akademisch qualifizierten Gruppen gelingt die Monopolisierung privilegierter Verdienst-, Karriere- und Lebenschancen und die Vererbung dieser Vorteile. Allerdings werden die Schließungsstrategien dieser Bildungselite durch die Expansion des Bildungssystems, durch höhere Bildungsausgaben und durch Tertiarisierungsprozesse abgeschwächt. Die soziale Schließung ist in den nord- und nordwesteuropäischen Ländern daher geringer als in der süd- und mitteleuropäischen Peripherie« (S. 360).
Insgesamt zeige sich bei den Bildungs- und Qualifikationsstrukturen eine Dreiteilung: »Ein geringes Bildungs- und Qualifikationsniveau in Südeuropa, ein gut ausgebautes mittleres Qualifikationssegment in Kontinental-, Mittel- und Osteuropa und ein hoher Anteil akademisch qualifizierter Personen in Skandinavien und auf den britischen Inseln. Diese Dreiteilung prägt auch die Qualifikations- und Klassenstrukturen: Die gehobenen und unteren Dienstklassen und qualifizierte Dienstleistungsberufe haben einen höheren Stellenwert in den skandinavischen und angelsächsischen, aber auch in den kontinentaleuropäischen Ländern. In den süd-, ost- und mitteleuropäischen Ländern sind die Anteile ungelernter und qualifizierter Arbeiter höher. Die EU ist also in territorialer Hinsicht in Länder gespalten, die auf ein ausgebautes Bildungssystem setzen und höher gebildete Beschäftigte mit anspruchsvolleren Dienstleistungen betrauen, und Länder mit weniger entwickelten Bildungssystemen, in denen durchschnittlich geringer qualifizierte Beschäftigte in erheblichem Maße mit ausführenden Tätigkeiten betraut sind« (S. 383).
Fazit
Abschließend wird versucht, Gewinner und Verlierer (S. 397) der aufgezeigten Europäisierungsprozesse auszumachen. Das geschieht zum einen auf der Länderebene:
Dimensionen sozialer Ungleichheit | Besonders positiv betroffene Länder | Besonders negativ betroffene Länder |
Wirtschaftliche Ungleichheiten | Skandinavische und kontinentaleuropäische Länder | Süd- und osteuropäische Länder |
Beschäftigung und Arbeitslosigkeit | Skandinavische und mittel- und osteuropäische Länder | Südeuropäische Länder |
Lohnungleichheiten | Skandinavische und kontinentaleuropäische Länder | Süd- und nordwesteuropäische Länder |
Einkommensungleichheiten | Geringere Ungleich- heiten in Kontinental- und Nordeuropa | Südeuropa |
Einkommensarmut und Ausgrenzung | Geringere Armuts- und Beschäftigungsrisiken in Nord-, West- und Kontinentaleuropa | Hohe Beschäftigungs-risiken in Südeuropa, Armuts- und Ausgrenzungsrisiken in Osteuropa |
Bildung und Qualifikationen | Aufwertung der Qualifikationen insbesondere in Nord- und Westeuropa | Bildungsarmut insbesondere in Südeuropa |
Zum anderen werden eher positiv und eher negativ betroffene soziale Gruppen aufgezeigt:
Dimensionen sozialer Ungleichheit | Besonders positiv betroffene Gruppen | Besonders negativ betroffene Gruppen |
Wirtschaftliche Ungleichheiten | ||
Beschäftigung und Arbeitslosigkeit | Hochqualifizierte, unbefristete Mitarbeiter | Geringqualifizierte, befristet Beschäftigte, Alleinerziehende, Migranten, Ältere, Kranke |
Lohnungleichheiten | Männer, Ältere, Einheimische, Qualifizierte | Frauen, Jugendliche, Migranten, Unqualifizierte |
Einkommensungleichheiten | Höherqualifizierte Inländer in Kernaltersgruppe | Geringqualifizierte, Migranten, Kranke, Alleinerziehende |
Einkommensarmut und Ausgrenzung | Hochqualifizierte und Problemlöser | Geringqualifizierte und einfache Tätigkeiten |
Bildung und Qualifikationen | Höherqualifizierte jüngere und einheimische Mitarbeiter | Ältere Geringqualifizierte, auch aus Drittstaaten |
Kommentar
Martin Heidenreich legt mit dieser Studie ein gelungenes Update der von ihm in der Vergangenheit verfolgten Überlegungen und Analysen (Heidenreich 2000 und 2006) vor. Er widersetzt sich landläufigen Theoremen (z.B. von einem Europa ohne Gesellschaft oder einem Europa des Neoliberalismus). Er kann seine These von einer Europäisierung sozialer Ungleichheiten gut entwickeln und belegen.
Die empirische Analyse ist in erheblichem Maße durch den Datenbestand der EU-SILC-Befragung geprägt. Dieses eher datengetriebene Vorgehen wird durch die einleitenden konzeptionellen Überlegungen zwar hinreichend strukturiert; dennoch ist es im dem langen empirischen Untersuchungsteil nicht immer einfach, dem Argumentationsfaden zu folgen, auch wenn in den Zusammenfassungen stets eine verdichtende Lesart offeriert wird. Trotz allem erscheint mir dieses Vorgehen sinnvoll; es wird implizit deutlich, dass sich transnationale Ungleichheitsverhältnisse kaum auf jene einfachen Formeln bringen lassen, die schon die nationalen Sozialräume stets nur sehr rudimentär beschreiben konnten.
Inhaltsübersicht
- Einleitung
- Soziale Ungleichheiten auf nationaler und europäischer Ebene
- Daten und Methoden
- Zwischen Konvergenz und Agglomeration. Wirtschaftliche Disparitäten in der EU
- Europäische Arbeitsmärkte zwischen Segmentierung und Aktivierung
- Lohnungleichheiten in der EU
- Europäisierung der Einkommensungleichheit vor und während der Krise in der Eurozone: inter-, supra- und transnationale Perspektiven
- Kumulierung und Konzentration von Armut und Ausgrenzung
- Bildung, Qualifikationen und soziale Mobilität
- Der gesellschaftliche Zusammenhalt in Europa. Zwischen europaweiter Konvergenz und sozialer Spaltung
Literatur
Heidenreich, Martin 2000: Beschäftigungsordnungen in Europa, in: Bamberger Beiträge zur Europaforschung und zur internationalen Politik Nr. 4/2000
Heidenreich, Martin 2006: Die Europäisierung sozialer Ungleichheit. Zur transnationalen Klassen- und Sozialstrukturanalyse, Frankfurt/New York: Campus
Heidenreich, Martin 2022: Die doppelte Spaltung Europas. Territoriale und soziale Ungleichheiten als zentrale Herausforderungen der europäischen Integration, Wiesbaden: Springer VS