
Eigentum – Vermögen – Sozialstruktur
In diesem Beitrag wird aufgezeigt, welche Bedeutung die Untersuchung von Eigentums- und Vermögensverhältnissen für Sozialstrukturanalysen hat. Von Eigentum wird dabei im Sinne von Eigentumsrechten und den damit verbundenen Freiheits- und Verfügungsrechten gesprochen. Auch der Vermögensbegriff wird weiter gefasst, indem es auch um Humanvermögen, Sozialvermögen und Naturvermögen geht.
Überblick:
- Eigentum und Vermögen als blinde Flecken
- Probleme der Übersetzung
- Prinzipien eines sozialstrukturellen Verständnisses
- Skizze eines sozialstrukturellen Verständnisses von Eigentum und Vermögen
- Langfristiger Wandel
- Produktions- bzw. Erwerbssphäre
- Haushaltssphäre
- Sphäre des Sozialstaats
- Fazit
- Literatur
- weiterlesen …
Eigentum und Vermögen als blinde Flecken
Lange Zeit sind die eher rechtlichen Fragen des Eigentums und die eher wirtschaftlichen Fragen des Vermögens in der Soziologie und der Sozialstrukturanalyse wenig beachtet worden. Mit der Diagnose von Industrie-, Lohnarbeits- bzw. Erwerbsgesellschaften waren die Selbstständigkeit, aber auch Fragen des Eigentums und Vermögens eher an den Rand gerückt. Auch die Konstatierung einer (kapitalistischen) Klassengesellschaft hat kaum dazu beigetragen, Eigentums- und Vermögensverhältnisse genauer zu untersuchen. Das ändert sich seit den 1990er und 2000er Jahren. Entlang verschiedener Begrifflichkeiten und Forschungsinteressen werden Fragen des Eigentums und Vermögens im soziologischen bzw. sozialstrukturellen Diskurs aufgenommen. Einige Beispiele:
- Seit den 1990er Jahren bildet sich eine Reichtumsforschung heraus, bei der neben einer ökonomischen Perspektive auf Einkommen und Vermögen zunehmend auch eine soziale Perspektive verfolgt wird. Exemplarisch sei auf die von Huster (1997) und Lauterbach u.a. (2009 und 2011) herausgegebenen Bände verwiesen.
- Seit den 2000er Jahren hat sich eine Erbschaftsforschung entwickelt. Neben quantifizierenden Analysen spielen hier vor allem die konzeptionell und historisch angelegten Arbeiten von Jens Beckert (2004, 2013) eine wichtige Rolle, wo er die historisch und national variierenden Diskurse über die Legitimität von Erbschaften und ihrer Besteuerung untersucht. Mike Savage spricht von Erbschaften als einer »Macht der Vergangenheit über die Gegenwart« (2023, S. 104).
- Bei den auch in der politischen Öffentlichkeit beachteten Publikationen von Thomas Piketty stehen Vermögen (synonym spricht er auch von Kapital) und Eigentum im Zentrum seiner Argumentation. So geht es in ›Das Kapital im 21. Jahrhundert‹ (2014) um eine Geschichte der Einkommen und des Vermögens. In ›Kapital und Ideologie‹ (2020) skizziert er die Entwicklung und die Krise von Eigentümergesellschaften.
- Parallel wird in verschiedenen Aufsätzen eine Soziologisierung der Eigentums- und Vermögensforschung proklamiert. Exemplarisch sei auf die Arbeiten von Carruthers u.a. (2004, 2022) und Beckert (2024) verwiesen. Konzeptionell spricht Beckert von ›capacities of wealth‹ und lehnt sich dabei an den klassischen deutschen Begriff des Vermögens an. »›Vermögen‹ means to be able to accomplish something. This captures the sociologically essential feature of private wealth (…). By enlarging the capacity for action, wealth enables its owners to do things they otherwise could not do« (Beckert 2024, S. 477 f.).
- Indem die sich etablierende neue Wirtschaftssoziologie auf die soziologische Einbettung ökonomischer Praktiken zielt, liefert sie vielerlei Ansätze für die hier interessierende Frage der Bedeutung von Eigentum und Vermögen für die Sozialstrukturanalyse (vgl. die Beiträge in Maurer 2017).
- In diesem Zusammenhang sind dann auch verschiedene Vorschläge entwickelt worden, Sozialstrukturen in Form von Eigentums- oder Vermögensklassen abzubilden. Bei Waitkus/ Butt (2024, S. 21) werden mit Bezug auf Lauterbach et al. (2016) verschiedene Gruppen von einkommens- und materiell bedingten Vermögensreichen unterschieden. Adkins u.a. (2024, S. 95) differenzieren entlang einer Vermögensperspektive Investor:innen, Wohneigentümer:innen mit und ohne Hypothekenbelastung, Mieter:innen und schließlich Obdachlose.
All diese Ansätze sind für eine um Vermögens- und Eigentumsperspektiven erweiterte Sozialstrukturanalyse hilfreich. Nicht selten kommt ihnen jedoch eine eher additive Funktion zu, wenn z.B. Vermögen als eine vierte Ungleichheitsdimension neben Einkommen, Bildung und Beruf begriffen werden (Hällsten/ Thaning 2022).
Probleme der Übersetzung
Ausgehend von den Vorteilen, die die ökonomischen und juristischen Abstraktionen bieten, soll im Folgenden überlegt werden, wie sich diese für sozialstrukturelle Analysen nutzen lassen; das bedarf einiger Übersetzungen.
Wichtige Anknüpfungspunkte finden sich, wenn in der juristischen Perspektive Eigentumsverhältnisse bzw. Eigentumsordnungen (die Passung von Rechtssubjekten und Güterarten und deren Regulierung) in den Blick genommen werden. Die in vielen Ansätzen verfolgte Frage nach der gesellschaftlichen Einbettung und damit auch der Wandelbarkeit von Eigentumskonzepten ist für die Übersetzung in eine sozialstrukturelle Perspektive ausgesprochen hilfreich. Auch das soziale Zusammenspiel von Freiheits- bzw. Verfügungsrechten auf der einen und Exklusionsrechten und Unfreiheit auf der anderen Seite legt eine sozialstrukturelle Perspektive nahe.
Beim ökonomischen Vermögenskonzept – insbesondere bei seiner geldwirtschaftlichen Engführung – stellt sich vor allem die Aufgabe, die über die Geldförmigkeit hergestellte Homogenität von Vermögen zu hinterfragen. Was in der Ökonomie als ein homogener, weil monetarisierbarer, Vermögenspool erscheint, stellt sich in sozialstruktureller Perspektive eher als etwas Disparates mit ganz unterschiedlichen Produktions- und Reproduktionsprozessen Verwobenes da. Neben den überaus bedeutsamen großen Vermögen, die spekulativ oder produktiv angelegt werden, geht es immer auch um mittlere und kleine Vermögen und die damit verbundenen Handlungsmöglichkeiten und Freiheiten.
Ein weiteres Problem liegt darin, dass Vermögen in der ökonomischen Logik (zu Recht) als Bestandsgröße begriffen werden; demgegenüber interessiert in der Sozialstrukturanalyse aber eher die ›Vermögenspraxis‹, also die Frage, wie gehen Menschen mit Vermögen oder einem Vermögensmangel um. Jenseits der Vermögenspraxis von ›Reichen‹ interessiert, wie verschiedene Arten von Vermögen in den unterschiedlichen Produktions- und Reproduktionszusammenhängen verschiedener Sozialgruppen verwendet werden.
Gewisse Anknüpfungspunkte liefert das von Bourdieu entwickelte Kapitalkonzept, dass genau auf solche Übersetzungen zielt. Entgegen den wichtigen Beiträgen zum Verständnis kultureller, sozialer und symbolischer Kapitalien fallen die Ausführungen zum Konzept des ökonomischen Kapitals jenseits der allgemeinen Überlegungen zum ökonomischen Feld jedoch recht spärlich aus. Waitkus und Butt (2024, S. 14) regen an, die von Bourdieu getroffene Unterscheidung verschiedener Formen des kulturellen Kapitals auch auf das ökonomische Kapital, insbesondere Vermögen, anzuwenden; so unterscheiden sie objektiviertes (z.B. Betriebe oder Immobilien), institutionalisiertes (Eigentumsrechte) und inkorporiertes (ökonomischer Habitus, zu ergänzen wäre der Anlagesinn) ökonomisches Kapital.
Prinzipien eines sozialstrukturellen Verständnisses
Diese Überlegungen lassen sich zu einigen Prinzipien eines sozialstrukturellen Verständnisses von Eigentum und Vermögen verdichten:
- Kontextgebundenheit: Die Analyse der sozialstrukturellen Bedeutung von Eigentum und Vermögen kann nur kontextspezifisch erfolgen; dabei geht es um:
– den weltregionalen und historischen Kontext: so kommt privaten Vermögen im Zusammenhang unterschiedlich stabiler und prosperierender Nationalstaaten oder im Kontext unterschiedlicher Wohlfahrtsregime und Kapitalismen eine je andere Rolle zu
– den Kontext spezifischer Sozialgruppen (z.B. abhängig und selbständig Beschäftigte) oder Personengruppen (z.B. geschlechtlich oder ethnisch-kulturell markierte Gruppen)
– den biografischen und generationalen Kontext. - Soziale Praktiken: Jenseits der Frage nach Beständen und Rechten geht es um die sozialen Praktiken, in deren Zusammenhang Vermögen bzw. Eigentumstitel genutzt werden. Es geht mithin um die je spezifischen Erwerbs- und Haushaltsstrategien verschiedener Sozial- und Personengruppen. Dabei müssen auch jene Gruppen in den Blick kommen, die über geringe oder keine Vermögen verfügen bzw. verschuldet sind. Dazu gehört auch die Frage des Kredits und der Kreditwürdigkeit.
- Komplexität: Grundsätzlich sind alle Formen des Eigentums und alle Vermögenstypen im Zusammenhang zu analysieren; dabei darf die Frage der monetären Abbildbarkeit keine Rolle spielen. D.h. es interessieren gleichermaßen die sich wandelnden Arbeitsvermögen von Männern und Frauen. Jenseits der materiellen Perspektive geht es immer auch um die soziale und symbolische Bedeutung von (Nicht-)Eigentum und (Nicht-)Vermögen. Zudem ist zu beachten, dass Individuen, Haushalte oder Unternehmen ganz verschiedene Eigentumstitel und Vermögensbestände nebeneinander nutzen. So sind Haushalte erwerbstätig und beziehen parallel Sozialleistungen oder Einkünfte aus Finanzanlagen, Immobilien bzw. selbständiger Tätigkeit; die sogenannten ›Arbeiterbauern‹ waren neben der Erwerbsarbeit im häuslichen Garten oder in der kleinen Landwirtschaft tätig.
- Ungleichzeitigkeiten: Auch wenn sich säkulare Veränderungen von Eigentumsordnungen (z.B. beim Übergang von agrarischen zu industriellen Gesellschaften) beobachten lassen, ist mit erheblichen Ungleichzeitigkeiten zu rechnen; d.h. bewährte Weisen der Produktion und Reproduktion und die damit verbundenen Eigentumsverhältnisse bestehen auch unter neuen Umständen fort. Auch in Migrationsgesellschaften kommt es zu solchen biografisch bedingten Ungleichzeitigkeiten.
- Jenseits des Legalen: Neben der ›legalen Welt‹ gilt es, auch die verschiedenen Bereiche der Schattenwirtschaft zu beleuchten. Die säkulare Durchsetzung der freien Lohnarbeit darf nicht den Blick auf verschiedene Formen der gebundenen Arbeit (z.B. Scheinselbständigkeit, Kontraktarbeit, Zwangsarbeit) verstellen.
Skizze eines sozialstrukturellen Verständnisses von Eigentum und Vermögen
Im Folgenden wird skizziert, wie Vermögen bzw. Eigentum – eine eher materielle bzw. eine eher rechtliche und soziale Perspektive – im Kontext von Sozialstrukturanalysen berücksichtigt werden sollten und welche zusätzlichen Erkenntnisse eine solche Perspektive gegenüber der bislang vorherrschenden erwerbszentrierten Perspektive bringt. Im Anschluss an eine historische Skizze von Vermögens- bzw. Eigentumsverhältnissen wird geklärt, welche sozialstrukturelle Bedeutung Einkommen und Vermögen im Kontext verschiedener ungleichheitsrelevanter Arenen (Erwerbsarbeit, Sozialstaat und private Haushalte) zukommt. Gegenüber einem additiven Vorgehen, bei dem Erwerbsklassen um Vermögensperspektiven oder Vermögensklassen erweitert werden, ermöglicht dies eine differenziertere Analyse des Zusammenwirkens und der säkularen Veränderungen.
Langfristiger Wandel der Vermögens- bzw. Eigentumsverhältnisse
Piketty (2020) skizziert die historische Entwicklung der Gesellschaften im globalen Norden als eine Geschichte der Eigentums- bzw. Vermögensverhältnisse. Für die ständisch-feudalen Gesellschaften – Piketty spricht von trifunktionalen Gesellschaften – findet sich eine wenig übersichtliche zumeist lokale Struktur von Eigentums- und Hoheitsrechten von Klerus, Adel und drittem Stand.
Seit dem 19. Jahrhundert transformieren sich diese Gesellschaften – im Kontext der politischen bzw. industriellen Revolutionen – zu wesentlich klarer strukturierten Eigentümergesellschaften, in denen es weniger um Landbesitz als den Besitz von Unternehmen und Produktionsmitteln geht. Diese sind um eine strikte Trennung zwischen den (zumeist privaten) Eigentumsrechten und den hoheitlichen Rechten des Staates organisiert.
Im späten 19. Jahrhundert kommt es – vor allem entlang der sozialen Frage – zu einer Krise dieser Eigentümergesellschaften. Darauf werden im 20. Jahrhundert ganz unterschiedliche Reaktionen entwickelt: von der Aufhebung des Privateigentums, über begrenzte Verstaatlichungen bis zur Herausbildung von Steuer- und Sozialstaaten.
In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts entstehen im globalen Norden unterschiedliche Formen von ›sozialdemokratischen Staaten‹: von den USA der New Deal Ära bis zu den skandinavischen Wohlfahrtsstaaten. Alle zeichnen sich dadurch aus, dass neben dem weiterhin dominanten privaten Eigentum vor allem öffentliches Eigentum in Hand der Nationalstaaten und Gebietskörperschaften, gesellschaftliches Eigentum (über erweiterte Mitbestimmungs- und Arbeitsrechte) und schließlich Eigentum auf Zeit (über die progressive Besteuerung von Einkommen) entsteht. Vor allem der Ausbau der Sozialstaaten verändert diese Gesellschaften fundamental, indem es erstmals möglich wird, auch ohne Eigentum und Vermögen ein auskömmliches Leben zu führen, indem vor allem biografische Notlagen abgesichert werden und ein öffentliches Bildungs- und Gesundheitssystem entsteht. Robert Castel (2008) hatte von ›Lohnarbeitsgesellschaften‹ gesprochen.
Der Ausbau der Sozialstaaten war durchaus erfolgreich. Zum einen kommt es durch die Einkommenszuwächse nach und nach – unterstützt durch staatliche Programme zur Vermögensbildung und zum Erwerb von Wohneigentum – zu einem Aufbau kleinerer Vermögen auch in den unteren Klassen. Aus den Ein-Drittel-Gesellschaften des 19. Jahrhunderts sind nach und nach Gesellschaften geworden, in denen es Zwei-Dritteln der Bevölkerung möglich ist, ein auskömmliches oder gutes Leben zu führen. Piketty verweist auf das Aufkommen einer »vermögenden Mittelschicht« (2014, S. 496); für Deutschland sprach Miegel (1983, S. 35) bereits in den 1980er Jahren von einer ›verkannten Revolution‹, die er neben Einkommen und Bildung auch durch die wachsenden Vermögen in der Mitte bedingt sieht1.
Zum anderen befördern der Ausbau des Bildungssystems und die technologischen Veränderungen der Produktion eine Modifizierung des Arbeitsvermögens. Während für viele (vor allem Männer) zunächst die physische Kraft im Vordergrund stand, geht es mehr und mehr um komplexe Wissensbestände, die in langen schulischen, beruflichen und betrieblichen Bildungsprozessen angeeignet werden. Pongratz und Voß (1998) sprechen idealtypisch von der Herausbildung von Arbeitskraftunternehmer:innen. Beschäftigte werden zu ›Unternehmer:innen‹ ihres eigenen Arbeitsvermögens, indem sie Qualifizierungsprozesse und die Vermarktung dieser Qualifizierungen planen und die eigene Lebensführung im Sinne des Arbeitsvermögens rationalisieren und optimieren.
Seit den 1980er Jahren entsteht mit dem »Hyperkapitalismus« (Piketty 2020) im Westen bzw. den postsozialistischen Staaten eine neue Konstellation von Ungleichheits- bzw. Eigentumsregimen. Es entwickelt sich eine ›neoproprietaristische Ideologie‹. Diese »ist komplexer als eine einfache Rückkehr zum Proprietarismus, wie er Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts existierte. Vor allem ist sie mit einer verschärften meritokratischen Ideologie verbunden. Der meritokratische Diskurs zielt im Grundsatz darauf ab, die Gewinner in den Himmel zu heben und die Verlierer des ökonomischen Systems zu stigmatisieren« (S. 888).
Im politischen Feld entsteht nach Piketty eine neue Konstellation, indem der klassische Konflikt um das Eigentum von einem Konflikt um die Durchlässigkeit der nationalen Grenzen überlagert wird (S. 973). Schuppert charakterisiert die jüngsten Veränderungen der Eigentumsordnung über Veränderungen beim geistigen Eigentum (2019, S. 132); das umfasse vor allem Patent-, Marken- und Urheberrechte. Die moderne Industriegesellschaft sei vor allem als Wissensgesellschaft zu begreifen, in der wissensbasierte Industrien und deren industrial property (gewerblicher Rechtsschutz) eine zentrale Rolle spielen. Im Rahmen eines digitalen Kapitalismus kommt Plattform-Unternehmen (z.B. Amazon, Facebook, Alphabet) eine große Bedeutung zu. Staab (2019) bezeichnet diese Plattformen als »proprietäre Märkte«; gemeint sind Märkte, die zwar vielen offenstehen, deren Regeln und Zugänge aber von den Eigentümer:innen dieser Plattformen bestimmt werden.
In vielen prosperierenden Ländern nehmen die Einflüsse von Vermögen auf die soziale Positionierung zu; das zeigt sich z.B. an der zunehmenden Bedeutung von Immobilienbesitz (Adkins u.a. 2024), von Erbschaften oder von Erträgen aus Finanzvermögen. Verschärft wird diese Entwicklung durch den Abbau oder die Vermarktlichung sozialstaatlicher Leistungen oder durch die Vernachlässigung öffentlicher Infrastrukturen.
Vermögen und Eigentum in der Produktions- bzw. Erwerbssphäre
Die Sphäre der Erwerbsarbeit stand typischerweise im Zentrum von Sozialstrukturanalysen. Die insbesondere nach dem Zweiten Weltkrieg vorherrschende Orientierung auf Einkommen, Beruf und Bildung implizierte dann aber auch, dass die Frage des Eigentums aus dem Blick geriet. Selbstständig und freiberuflich Tätige wurden zu einer Berufs- oder Einkommensgruppe unter anderen. Im Folgenden sollen Fragen des Eigentums und des darüber entstehenden Vermögens als wichtige Erweiterung der erwerbs- bzw. berufsbezogenen Perspektive verstanden werden; zudem geht es nicht nur um eine materielle bzw. rechtliche Perspektive, sondern auch um die damit verbundenen Macht- und Anerkennungsverhältnisse.
Erwerbsgruppen
Zunächst lassen sich entlang von (privatem, öffentlichem und gemeinschaftlichem) Eigentum und Vermögen ganz verschiedene Gruppen von Erwerbstätigen unterscheiden. Die klassische Frage des Produktionsmittelbesitzes ist weiterhin bedeutsam; nur hat man es auf Seiten der Besitzenden wie der abhängig Beschäftigten mit erheblichen Binnenunterschieden zu tun.
Varianten von Eigner:innen und Besitzenden
Wenn Piketty mit der Herausbildung der Eigentümergesellschaften zunächst eine gewisse Vereinfachung von Eigentums- und Besitzverhältnissen konstatieren kann, gilt dies für die weitere Entwicklung nur bedingt. Der Eigentümerkapitalismus der frühen Industriegesellschaft entwickelt sich Mitte des 20. Jahrhunderts zu einem Managerkapitalismus (Kocka 2013, S. 87), indem es zu einer funktionalen Trennung von Finanzierung (Kapitaleigner:innen) und Unternehmensleitung (Manager:innen und sich ausdifferenzierende Personalverwaltungen) kommt.
Ab den 1980er Jahren lassen sich weitreichende Verschiebungen in der Gewichtung von Industriekapital und Finanzkapital beobachten. Neben dem eigentlichen Produktionsgeschehen gewinnt dessen Bewertung durch Anleger:innen (Shareholder-Value) eine zunehmende Bedeutung.
Mit den Deregulierungen dieser Zeit restrukturiert sich der Finanzsektor. Es bilden sich neue Akteure (z.B. Rating-Agenturen, Investmentbanken, institutionelle Anleger, Vermögensverwaltungen, Hedgefonds), neue Geschäftsfelder (z.B. der Handel mit Unternehmen und Unternehmensteilen oder mit Rechten) und neue Finanzprodukte (z.B. Derivate, hypothekenbesicherte Wertpapiere) heraus. Anstelle der relativ einfachen Beziehungen zwischen Anleger:innen, Banken und Unternehmen entstehen komplexe investment chains (Arjaliès u.a. 2017), in denen eine Vielzahl von Intermediären (z.B. Pensionsfonds, Versicherungen, Finanzberatungen, Vermögensverwaltungen, Investmentgesellschaften etc.) gewinnorientiert interagiert. Braun und Christophers sprechen von einem »asset-manager-capitalism« (2024 S. 548)2.
Parallel restrukturieren sich auch die Unternehmen; dabei bilden sich im Kontext von Globalisierung, Outsourcing und Offshoring komplexe Netzwerke und Lieferketten (supply chains) heraus. Diese Entwicklungen implizieren schließlich auch veränderte Machtbeziehungen zwischen den Unternehmen, z.B. zwischen Finanz- und Industrieunternehmen oder zwischen den Unternehmen einer Lieferkette.
Mit diesen Ausdifferenzierungen sind recht unterschiedliche Formen von Einkommen und Gewinnen verbunden, wenn Waren und Dienstleistungen hergestellt bzw. gehandelt werden, wenn Finanzprodukte, Unternehmensteile, Immobilien bzw. Rechte verwaltet werden oder wenn die Infrastrukturen einer globalen Wirtschaft (z.B. Logistik, Rating, Finanztransfer, Risikoabsicherung) bereitgestellt werden. Dabei schlägt sich auch die Positionierung eines Unternehmens in einer Lieferkette in den Einkommen der abhängig Beschäftigten nieder.
Bei den hier geschilderten Entwicklungen geht es um Unternehmen ganz unterschiedlicher Größe. Nicht wenige Großunternehmen des Industriezeitalters sind verschwunden; insbesondere für Prozesse der Innovation und der flexiblen Produktion und Dienstleistung sind kleinere und mittlere Unternehmen oder sogenannte startups bedeutsam. Schließlich ist in Deutschland auch die ausdifferenzierte Gruppe der freiberuflich Tätigen zu beachten, die zumeist über Standesorganisationen (z.B. Ärzte-, Rechtsanwalts- oder Architektenkammern) vertreten werden. Eine besondere Rolle spielt schließlich die sehr heterogene Gruppe der Soloselbstständigen.
Neben Prozessen der Ausdifferenzierung kommt es aber auch zu Vereinfachungen, wenn z.B. die Gruppe der mithelfenden Familienangehörigen oder der Hausangestellten mit dem Niedergang traditionaler kleinbetrieblicher und familienbezogener Produktionsweisen erheblich an Bedeutung verliert.
Varianten von abhängig Beschäftigten
Klassischerweise wurde entlang der unterschiedlichen Organisation von sozialen Sicherungssystemen zwischen Arbeitern, Angestellten und Beamten bzw. deren Laufbahn- und Qualifikationsgruppen unterschieden. Damit kommen dann auch die unterschiedlichen Typen von Arbeitgeber:innen in den Blick: Unternehmen (und Subunternehmen) verschiedenen Rechts in der Privatwirtschaft, Gebietskörperschaften im öffentlichen Dienst, private Organisationen ohne Erwerbszweck (z.B. Gewerkschaften, Parteien, Kirchen und Wohlfahrtsverbände) und schließlich private Haushalte.
Zudem variieren die Arbeitsvolumina, Beschäftigungsverhältnisse (z.B. Normalarbeit, befristete oder atypische Beschäftigung, Leiharbeit) und Arbeitsbedingungen (Autonomie, Belastungen, Qualifikationsanforderungen) der Beschäftigten. Neben weitgehend regulierten Arbeitsverhältnissen findet sich prekäre bzw. illegale Beschäftigung und Rechtlosigkeit (z.B. bei Werkvertragsbeschäftigten, Scheinselbstständigen oder Gig Arbeiter:innen). In einigen Berufsfeldern haben sich komplexe subcontracting chains herausgebildet.
Nicht wenige Erwerbstätige sind in mehrere Beschäftigungsverhältnisse eingebunden. Dabei steht mitunter abhängige Erwerbsarbeit und selbstständige Beschäftigung nebeneinander. Auch über die Kombination von Erwerbsarbeit und Verwertung von Vermögenstiteln (Finanzanlagen, Immobilien) entstehen komplexe Zwischenformen.
Von großer sozialstruktureller Bedeutung sind neben Fragen der beruflichen Mobilität mögliche Übergänge in selbstständige Tätigkeiten. Während der Zugang zu Berufen zumeist an Fertigkeiten und Qualifikationen gebunden ist, spielen beim Übergang in selbstständige und freiberufliche Tätigkeiten zudem vorhandene Kapitalien bzw. der Zugang zu Krediten und Risikokapitalien eine zentrale Rolle – das impliziert eine Anerkennung der vorliegenden ›Business-Pläne‹ aber auch eine Anerkennung der ›Kreditwürdigkeit‹ der Beteiligten.
Recht, Macht und soziale Anerkennung
Mit den Eigentums- und Verfügungsrechten von Produktionsmittelbesitzenden hat sich in kapitalistischen Gesellschaften eine zentrale Achse sozialer Macht herausgebildet. Unternehmer:innen können grundsätzlich über das Unternehmen, seinen Fortbestand, seine Umsiedlung oder über die Zahl der Beschäftigten und letztlich über einzelne Arbeitsverträge entscheiden. Die dort Beschäftigten sind mit einem Abhängigkeitsverhältnis konfrontiert und müssen grundsätzlich mit Arbeitslosigkeit rechnen.
Diese Risiken gestalten sich jedoch entlang der unterschiedlichen Verfasstheit von Unternehmen bzw. Verwaltungen und entlang der Qualifikation und der Beschäftigungsverhältnisse recht unterschiedlich. Dabei spielen auch innerbetriebliche Machtverhältnisse eine Rolle, wenn die in Normalarbeitsverhältnissen tätige Stammbelegschaft zumeist besser geschützt ist als andere Teile der Belegschaft (z.B. Teilzeit- und geringfügig Beschäftigte oder Leiharbeiter:innen). Schließlich federn auch betriebliche Vereinbarung oder verschiedene Sozialrechte (Kündigungsschutz, Mitspracherecht von Betriebsräten) die Risiken von abhängig Beschäftigten ab; auch die Leistungen der Arbeitslosenversicherung gewährleisten den Erhalt eines gewissen Lebensstandards.
Formalisierte soziale Macht findet sich aber auch innerhalb betrieblicher Hierarchien, wenn Vorgesetzte über Weisungsrechte verfügen, über Entgeltzulagen entscheiden oder Untergebene beurteilen. Auch diese Entscheidungen sind über Arbeits- und Mitbestimmungsrechte eingeschränkt und können vor Arbeitsgerichten angefochten werden. Dennoch sind damit stets Abhängigkeitserfahrungen verbunden.
Schließlich entstehen große Machtdifferentiale über die unterschiedlichen Chancen der politischen Interessenvertretung: z.B. durch Unternehmerverbände, Kammern und Branchenorganisationen, durch Interessenverbände von Banken, Börsen und Finanzdienstleistern oder durch Berufsverbände bzw. Gewerkschaften.
In arbeitsteilig organisierten Gesellschaften ist seit langem zu beobachten, dass Tätigkeiten und Berufe mit unterschiedlichen Graden der sozialen Anerkennung, der gesellschaftlichen Achtung bzw. Verachtung, verbunden waren. Das findet sich schon früh in der Unterscheidung von ›ehrlichen‹ und ›unehrlichen‹ oder ›reinen‹ und ›unreinen‹ Berufen; darüber entstehen dann eben auch ›ehrliche‹ und ›unehrliche‹ Leute, ständische und unterständische Gruppen oder Ortsansässige und ›Vagabunden‹. Heutzutage spiegelt sich die lange Geschichte der Anerkennung und Nicht-Anerkennung im Sozialprestige von Berufen wider.
Vermögen und Eigentum in der Haushaltssphäre
Die privaten Haushalte sind als strategische Einheiten zu begreifen, in denen Vermögen3 (bzw. Mangel) gepoolt, verwendet, angelegt und vererbt werden.
Historisch betrachtet sind Familien in der frühen Neuzeit zum einen die zentrale Einheit der landwirtschaftlichen und handwerklichen Produktion; zum anderen sind sie die Einheit, in der mobiler und immobiler Besitz kumuliert und an die nächste Generation weitergegeben wird (Gestrich 2003, S. 392). Daher kommt dem Eherecht und dem Erbrecht eine ganz zentrale Bedeutung zu. Daran hat sich bis heute wenig geändert; so konstatieren Beckert und Stamm (2025): »Families bridge the temporal gap between the durability of capital and the finite lifespan of private property holders«.
Vermögen und Eigentum in materieller Perspektive
Über das Zusammenleben von mehreren Erwachsenen mit einer je eigenen Kapitalausstattung (soziale Kumulierung) und die Weitergabe von Kapitalien zwischen den Generationen (temporale Kumulierung) kommt es auf der einen Seite zu einer Anhäufung von Vermögen und auf der anderen zur Anhäufung von Mangel. Zugleich ist jedoch auch die Verteilung von Vermögen und Verfügungsrechte nach Geschlecht oder Generation zu beachten (vgl. Kamleitner 2018 oder Lauer 2014).
Haushalte nutzen Vermögen in sehr verschiedener Weise. So kann z.B. Immobilieneigentum selbstgenutzt werden, es kann aber auch vermietet bzw. für den Aufbau einer selbstständigen Existenz verwendet werden; es kann als Sicherheit für ein Darlehen fungieren, der Spekulation dienen oder der Alterssicherung. Auch Kraftfahrzeuge sind oft mehr als Konsumgüter, wenn sie für den Weg zur Arbeit oder das preiswertere Wohnen im ländlichen Raum erforderlich sind, wenn sie eine selbstständige Tätigkeit ermöglichen etc.
Vermögen können als Einkommensquelle der Haushalte fungieren, indem Gewinne aus Betriebsvermögen, Mieteinnahmen aus Immobilien oder Zinsen bzw. Renditen aus Finanzanlagen entstehen. Vermögen vermitteln soziale Sicherheit, wenn sie der Alterssicherung oder der Absicherung bei unvorhergesehenen Ereignissen dienen.
Die Vermögensbildung und -entwicklung ist als eine längerfristig angelegte Strategie der Haushalte zu begreifen. Dabei geht es um Investitionen in das Humankapital der Haushaltsmitglieder, in Immobilien, in Finanzanlagen oder in langlebige Konsumgüter. Analog zur Diagnose von Finanzialisierungsprozessen auf der Makro- und Mesoebene wird inzwischen auch von einer Finanzialisierung des Alltagslebens (Borch/ Wosnitzer 2021) gesprochen. Diese Diagnose bezieht sich auf die Einbindung von Haushalten in komplexe Finanzprodukte (z.B. hypothekenbesicherte Wertpapiere4) und Versicherungen, auf die mitunter riskanten Anlagepraktiken von Haushalten und schließlich auf deren Selbstverständnis (z.B. gegenüber Risiken, Anlagemöglichkeiten, Kreditaufnahme). Sawyer (2022, S. 171) konstatiert, dass Menschen in wachsendem Maße mit dem Finanzsystem konfrontiert sind und weitreichende finanzielle Entscheidungen treffen müssen; dabei geht es um Konsumschulden, Hypotheken oder um private Versicherungen (z.B. zur gesundheitlichen Versorgung oder zur Altersvorsorge). Adkins (2019) spricht für den angloamerikanischen Kontext von minskian households – in Anlehnung an den Ökonomen Hyman Minsky. »This is a household which exists in a continuous state of speculation and serves as an anchor for financial capital via the provision of flows of money to finance markets« (S. 20).
Haushalte haben sehr unterschiedliche Chancen des Vermögensaufbaus. Das hängt z.B. von der Höhe der überschüssigen Einkommen oder von den Chancen auf Schenkungen und Erbschaften ab. Eine nicht unwichtige Rolle spielt auch der Zugang zu verschiedenen Typen von Krediten (z.B. Hypotheken, Studien- oder Konsumkredite) oder anderen Bankdienstleistungen (z.B. Kreditkarten, Depots). Neben der Kreditwürdigkeit im engeren Sinne finden sich dabei verschiedene Formen von Diskriminierung (Antidiskriminierungsstelle des Bundes 2024, S. 110). Carruthers (2022, S. 151) spricht von financial exclusion. So wird im angloamerikanischen Kontext von credit invisibles bzw. unscored gesprochen, jene für die keine Auskunft zur Kreditwürdigkeit oder nur unzureichende Informationen vorliegen (Brevoort u.a. 2016).
Die Bedeutung auch von kleinen Vermögensbeständen läßt sich exemplarisch an jüngeren sozialen Konflikten beobachten: so führten z.B. die Hartz Reformen in den 2000er Jahren zu großer Empörung, weil die Veräußerung von Immobilien zur Voraussetzung für den Bezug von längerfristigen Unterstützungsleistungen wurde; die Entstehung der Gelbwesten-Bewegung in Frankreich wurde u.a. durch einen Anstieg der Benzinpreise ausgelöst; auch die Konflikte um das sogenannte ›Heizungsgesetz‹ hängen mit Fragen des Wohneigentums und seiner Finanzierbarkeit (in Zeiten der sozialökologischen Transformation) zusammen.
Vermögen und Eigentum in sozialer Perspektive
Die unterschiedlichen Vermögensbestände und Eigentumsrechte privater Haushalte fungieren als eine wesentliche Quelle sozialer Anerkennung und umgekehrt auch der Geringschätzung (z.B. von Verschuldeten oder Obdachlosen). D.h. die Verteilung von Vermögen und Eigentumsrechten ist auch als eine Verteilung von Ansehen und Diskriminierung, von Achtung und Verachtung zu begreifen. So machen z.B. Immobilienvermögen (bzw. deren Lokalisierung) und langlebige Konsumgüter wie Kraftfahrzeuge die soziale Lage eines Haushalts für alle sichtbar.
Vermögen bzw. die mit dem Eigentum verbundenen Verfügungs- und Exklusionsrechte können als ein Freiheits- und Emanzipationsmoment fungieren; sie sind aber auch mit Herrschaftsausübung, Entfremdung und Unfreiheit verknüpft. »Mit Eigentum wird Selbstbestimmung bezogen auf äußere Güter ausgeübt. Das zentrale Merkmal des Eigentums liegt in dieser Selbstbestimmung, über den Gebrauch von Gütern selbst zu entscheiden. (…) Als ein solches Entscheidungsrecht verkörpert Eigentum also Freiheit« (Wesche 2025, S. 21).
Diese Eigentumsrechte an äußeren Gütern sind aber sozial eingebettet. »Äußere Güter gehören zur Welt, die Menschen miteinander teilen. Eigentum an äußeren Gütern ist deshalb eine Beziehung auf eine gemeinsame Welt und (…) betrifft somit unvermeidbar andere Personen. (…) Eigentum kann sich aufgrund seiner Exklusionsmacht von einem Abwehrrecht in ein Herrschaftsinstrument verkehren«. Während die Wahrnehmung von Persönlichkeitsrechten die Lebensführung anderer nicht beeinträchtigt, geht die Wahrnehmung von Eigentumsrechten »auf Kosten der Mitbestimmung anderer (…). Anderen wird somit eine Mitsprache über die Güter einer gemeinsamen Welt entzogen. Hauseigentümer, Aktienbesitzer, Unternehmenseigner oder Grundbesitzer üben gewollt oder ungewollt auch einen Einfluss auf das Leben anderer aus« (S. 23). Darüber werden soziale und hierarchische Relationen für beide Seiten erfahrbar.
Das soziologisch Allgemeine von Vermögen liegt darin, dass sie Handlungsspielräume erweitern und dass das Wissen um diese Spielräume eine gewisse Sicherheit vermittelt. So betrachtet sind auch Schuldenfreiheit und kleinere Vermögen (z.B. Sparanlagen oder eine kleine Wohnung) von erheblicher Bedeutung, wenn sie vielleicht ein mehr an Freiheit oder ein weniger an Zumutung ermöglichen oder schlicht das Überleben sichern, weil sie Kosten reduzieren.
Vermögen und Eigentum im Kontext von Sozialstaaten
Mit dem Ausbau der Sozialstaaten nach dem Zweiten Weltkrieg wurde es, wie erwähnt, für Männer und Frauen erstmals möglich, auch ohne Vermögen ein auskömmliches Leben zu führen. Von entscheidender Bedeutung war der Ausbau sozialer Sicherungssysteme, die Entwicklung des Bildungs- und Gesundheitssystems, der Wohnungswirtschaft und der öffentlichen Infrastrukturen. So entstand neben der Welt des privaten Eigentums eine nicht unbedeutende Welt gemeinschaftlichen und gesellschaftlichen Infrastruktur- und Sozialeigentums, deren Bedeutung über die Staatsquote abgeschätzt werden kann.
Die sozialstrukturellen Effekte der expandierenden Sozialstaaten sind nicht einfach zu bestimmen. Grob vereinfacht lassen sich vier Gruppen unterscheiden:
- Die Oberschicht braucht den Sozialstaat nicht; dennoch sind auch für sie die regulativen und infrastrukturellen Leistungen der Nationalstaaten von zentraler Bedeutung.
- Für die Mittelschicht kann der Sozialstaat als eine wichtige Einkommensquelle fungieren, wenn z.B. Personen im öffentlichen Dienst beschäftigt sind oder Leistungen im Rahmen des öffentlichen Gesundheitssystems erbringen. Der Sozialstaat bringt zusätzlichen Wohlstand, z.B. über eine kostenlose Gesundheitsversorgung und Bildung. Darüber hinaus kann in private Bildung oder zusätzliche Gesundheitsleistungen investiert werden. Die Vermögen dieser Gruppe eröffnen so die Möglichkeit, selektiv auf Sozialleistungen zuzugreifen und die damit verbundenen Diskriminierungen und Disziplinierungen zu umgehen.
- Für die Unterschicht macht der Sozialstaat ein gutes Leben (auf niedrigem Niveau) möglich, indem über die Sozialhilfe und andere Sicherungsleistung Lebensrisiken abgepuffert werden oder indem über die Aufstockung von Niedriglöhnen und den Bezug von Wohngeld ein Überleben auch mit wenigen Ressourcen gelingt. Umgekehrt sind mit diesen Leistungen aber auch stete Disziplinierungen, Zumutungen und Abhängigkeitserfahrungen verknüpft.
- Die Exkludierten gehören schließlich zu jenen, die kaum vom Sozialstaat profitieren, wenn es ihnen nicht gelingt, die erforderlichen Mindestvoraussetzungen für die Sicherungsleistungen des Sozialstaats zu erfüllen.
Entlang dieser idealtypischen Unterscheidung wird dann auch plausibel, wer sich für die Entwicklung des Sozialstaats einsetzt und wer nicht.
Der (Sozial)staat ist auf der einen Seite ein Garant von Ungleichheitsverhältnissen z.B. indem er das private Eigentum schützt; auf der anderen Seite ist er aber auch Organisator von Unterstützungs- und Sicherungsleistungen oder fördert die Eigentums- und Vermögensbildung. Bourdieu resümiert: »Sicher ist der Staat nie ganz neutral, völlig unabhängig von den Herrschenden, aber er besitzt doch eine gewisse Autonomie, die umso größer wird, je älter, je mächtiger er ist, je mehr seine Institutionen gesellschaftliche Eroberungen beherbergen. Und er ist ein Ort von Kämpfen (z.B. zwischen dem Finanzministerium und den ›Wohlfahrtsministerien‹)« (1998, S. 43).
Fazit
Zusammenfassend wird deutlich, dass für alle hier skizzierten sozialen Gruppen verschiedene Typen des Eigentums und des Vermögens eine zentrale Rolle spielen. Dabei geht es um den Zugang zu selbstständigen und freien Berufen, um Beschäftigungsverhältnisse und Hierarchien im Kontext verschiedener Eigentumsformen. Eine wichtige Rolle spielt aber auch das kleine Eigentum, indem es auch in untergeordneten sozialen Lagen Sicherheiten bietet, Freiheiten eröffnet und Autonomieerfahrungen ermöglicht.
Die Einbeziehung von Einkommen und Vermögen birgt große Chancen zu einem erweiterten Verständnis von Sozialstrukturen. Gegenüber einer empiristischen Perspektive, in der soziale Lagen über eine Kombination von Einkommen, Bildung und Beruf bestimmt werden, besteht die Chance, Strukturen und historische Verschiebungen zu entdecken. Allerdings wird das Bild der sozialstrukturellen Welt weitaus komplexer als es einfache Klassen- oder Milieumodelle zeichnen.
Die Frage nach dem Eigentum und die daraus abgeleiteten Verfügungs- bzw. Freiheitsrechte ermöglichen eine differenzierte Analyse von Gegenwartsgesellschaften. Entlang von privaten, gemeinschaftlichen und gesellschaftlichen Eigentumsverhältnissen und entlang der Ausdifferenzierung von Verfügungs- bzw. Weisungsrechten ist eine komplexe und dynamische Struktur sozialer Positionen entstanden, die sich auch im Weltverständnis und der Selbstverortung der so Positionierten ausdrückt.
Darüber eröffnet sich auch ein differenzierter Zugang zur Analyse von Machtbeziehungen. Dabei geht es um Machtverhältnisse zwischen Ökonomie und Politik, zwischen Unternehmen und Finanzmarktakteuren, um Machtverhältnisse zwischen und innerhalb von Unternehmen und Verwaltungen und schließlich auch um Machtverhältnisse innerhalb von Haushalten.
Auch die Frage nach Vermögen (i.w.S.) eröffnet eine differenziertere Analyse von Sozialstrukturen und Ihrer Veränderung. In der Produktionssphäre spielen Vermögen eine zentrale Rolle, indem sie neben der Finanzierung über Banken und Börsen eine wesentliche Quelle von Kapital darstellen. Gleichermaßen ist jedoch Arbeitsvermögen erforderlich, das über abhängig Beschäftigte eingebunden wird. In historischer Perspektive lässt sich eine korrespondierende Entwicklung von Produktionsweise (landwirtschaftliche und handwerkliche Produktion, industrielle Produktion, flexible Spezialisierung, Digitalisierung), Finanzierung (Familienvermögen, Banken, Börsen, investment chains) und Arbeitsvermögen (von physischen zu komplexen sozialen und qualifikatorischen Kompetenzen) beobachten.
Über die Haushalte gerät die soziale und temporale Kumulierung von Vermögen in den Blick. In den mittleren und oberen Lagen kommt es zu einem wachsenden materiellen Vermögen (neben Immobilien in zunehmendem Maße auch Finanzanlagen und Betriebsvermögen) wie auch zu einem größeren Humanvermögen. Das verlangt komplexe Investitionsentscheidungen, wenn es gilt, diese Vermögen langfristig zu sichern und an kommende Generationen weiterzugeben.
Literatur
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Anmerkungen
- Er bedachte auch die Folgen dieser verkannten Revolution für das politische Feld. So habe inzwischen eine Mehrheit der Bevölkerung ein Interesse an der individuellen Besitzstandwahrung. »Da der wohlhabende und einflußreiche Bevölkerungsteil anfängt, auch die politische Mehrheit zu bilden, werden herkömmliche Mechanismen der politischen Steuerung schon bald außer Kraft gesetzt werden. Künftig dürfte es in freiheitlichen Demokratien sehr schwer sein, den Wohlhabenden gegen ihren Willen etwas zu nehmen« (Miegel 1983, S. 41). Diese Erfahrung mussten dann selbst konservative Politiker:innen machten, die sich für eine veränderte Besteuerung von Erbschaften und Vermögen einsetzten. ↩︎
- Dabei geht es neben konventionellen Asset-Manager:innen, die in den großen Unternehmen der Vermögensverwaltung (z.B. Black Rock, State Street oder Vanguard) tätig sind, auch um Manager:innen, die in speziellen Segmenten (private equity, venture capital, hedge funds, private debt, real estate oder infrastructure) arbeiten. ↩︎
- Hegel unterscheidet zwischen Eigentum und Besitz bzw. Vermögen »Die Familie hat nicht nur Eigentum, sondern für sie als allgemeine und fortdauernde Person tritt das Bedürfnis und die Bestimmung eines bleibenden und sicheren Besitzes, eines Vermögens ein. Das im abstrakten Eigentum willkürliche Moment des besonderen Bedürfnisses des bloß Einzelnen und die Eigensucht der Begierde verändert sich hier in die Sorge und den Erwerb für ein Gemeinsames, in ein Sittliches« (1968, S. 183). ↩︎
- Diese spielten im Vorfeld der globalen Finanzkrise 2007/2008 in den USA eine wichtige Rolle. ↩︎
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Überblick:
Zentrale Konzepte:
Empirische Analysen:
- Vermögensungleichheiten in Deutschland
- Klassifizierung von Vermögensgruppen:
- Vermögensklassen nach Lauterbach u.a.
- Vermögensklassen nach Adkins u.a.